„Die Kita sollte ein Ort sein, an dem mein Kind sicher ist“

Aileen Puhlmann lebt und arbeitet in Hamburg. Sie hat eine 7 jährige Tochter und spielt leidenschaftlich Basketball. Haupt-und Nebenberuflich setzt sie sich gegen globale Ungerechtigkeiten ein. Im Sommer 2020 hat sie ihre Wut über die rassistischen Erfahrungen, die ihre Tochter in der Kita machen musste, in einem Artikel veröffentlicht. Was folgte, war ein großes Interesse in der Öffentlichkeit. Für die Lotsinnen* nimmt Aileen Puhlmann das Thema nochmal in den Blick.

Kinder als Projektionsfläche?

Meine Tochter ist in der 1. Klasse einer Grundschule in einem sehr ‚diversen‘ zentralen Hamburger Stadtteil. Sie hatte einen tollen Schulstart und ist in einer sehr wertschätzenden Klassengemeinschaft angekommen, die Corona zum Trotz gut zueinander gefunden hat. Dazu hat sie durch die Bank weg wirklich engagierte und bemühte Lehrerinnen. All das ist nicht selbstverständlich, denn meine Tochter ist Schwarz. Schule und Kita sind grundsätzlich erstmal keine sicheren Institutionen, wenn du als Kind von der vermeintlich, weißen, gesunden, schlanken oder nicht behinderten Norm abweichst.
Leider.
Kinder können verletzend sein und sie können Rassismus reproduzieren. Kinder können Täter*innen sein. Ja, das klingt erstmal hart, das ist mir klar und ich habe fast Hemmungen, dies auch so direkt zu schreiben.
Es bewegt uns so sehr, weil die Gesellschaft Kinder gerne als Neutrum sieht, als unschuldig und als im Grunde gut. Im Gegenteil dazu verbinden wir mit Rassismus das Böse und damit auch ‚schlechte‘ Menschen. Letztendlich ist es unfair hier von Täter*innen zu sprechen denn, das wissen wir auch, Kinder entscheiden nicht bewusst, sie reflektieren nicht, sondern geben weiter was sie sehen, hören und als normal verstehen.

Der Psychoanalytiker Fakhry Davids hat zum Beispiel ein Model entwickelt, welches aufzeigt, dass sich rassistische Abwehr schon in der frühesten Kindheit entwickelt. Hier bedarf es jetzt dem Verständnis, dass wir in einem strukturell rassistischen System leben, dem wir uns gar nicht entziehen können und somit alle rassistisch sozialisiert sind. Tupoka Ogette hat hierzu in ihrem Buch ‚Exit Racism‘ sehr verständlich für den deutschen Kontext geschrieben.
Denn rassistisch sozialisiert sein bedeutet, dass wir bestimmt Dinge als Norm akzeptieren, die jedoch ausgrenzend sind. Wir akzeptieren es als Norm, dass die meisten Menschen in der Werbung weiß sind. Wir akzeptieren es als Norm, dass weiße Menschen in der Literatur als Machthaber*innen dargestellt werden. Wir akzeptieren es als Norm, dass der Globale Süden mit mehrheitlich dunklen Menschen arm ist. Wir assoziieren bestimmte Vorurteile mit Menschengruppen und genau das ist er, der versteckte Rassismus in uns.
Letztendlich geht es beim Rassismus auch immer um Zugang zu Ressourcen und um Macht.

Ich bin Mutter einer Schwarzer Tochter, die bis zum letzten Sommer Kita-Kind war. Ich habe im Juni über unserer Erfahrungen in der Kita geschrieben unter anderem darüber wie überfordert die Kita damit war, mit rassistischen Vorfällen adäquat umzugehen und somit meine Tochter zu schützen.
Im Nachgang zu meinem Artikel gab es ein Treffen mit dem Kita-Träger und der klaren Verpflichtung die Erzieher*innen zu schulen und das Schutzkonzept der Kita neu zu schreiben. Das ist natürlich alles schön und gut, aber dies ist nur passiert, weil ich erzählt habe was die Situation mit uns gemacht hat, nicht weil das System selber so schützend agiert hat. Ich hab keinen romantisch verklärten Blick zurück auf die ach so schöne und einmalige Kita-Zeit. Aber ich habe in dieser Zeit aber auch sehr viel Solidarität erfahren und viele Eltern aus ganz Deutschland haben mir ihre Erlebnisse geschildert.

Wir sind kein Einzelfall!

Ich bin nicht alleine. Das habe ich sehr schnell gemerkt und aus einer isolierten Erfahrung wurde ein flächendeckendes Problem. Meine Inbox glich der einer Beratungsstelle und Geschichte um Geschichte von Diskriminierung in Kita und Schule trudelten ein. Kinder, die von Erzieher*innen isoliert, als anders dargestellt werden, Kinder dessen Haare Gesprächsthema sind, Kinderlieder die verletzend sind, Schwarze Jungs die als von Natur aus als aggressiv abgestempelt werden und immer und immer wieder die fehlende Bereitschaft von Institutionen sich mit ihrem mangelnden Wissen rund um Diskriminierungsformen auseinanderzusetzen.

Es war jedoch auch ein bisschen befriedigend, denn ich hab mich entlastet gefühlt, entlastet von der Individualschuld, also dem Gedanken, dass ich vielleicht übertreibe oder einfach alles falsch deute. Denn, das ist ja ein Teil dieses Systems, in dem auch ich sozialisiert bin. Ich habe gelernt, dass mir meine Erfahrungen grundsätzlich erstmal abgesprochen werden, dass es bestimmt nicht so gemeint war, dass ich mir Rassismus einbilde und einrede.
Radio, Fernsehen, Zeitungen wollten, dass ich über meine Erfahrungen berichte: Ich sollte immer wieder an Hand meines Traumas und meiner Wut überzeugend darstellen, dass es Rassismus wirklich gibt. Ich war auch bereit dazu, denn ich fand das meine Perspektive wichtig ist. Ich fand, dass ich als Mutter gehört werden sollte. Gleichzeitig fand ich es erschreckend, wie wenig Material zu diesem Thema zugänglich war und wie wenig Forschung es in Deutschland zur Thematik gibt. Der Großteil der Studien zum Thema kommen aus den USA, was bezeugt, dass wir hier gerade noch in den Kinderschuhen stecken.

Die Kita sollte ein Ort sein, an dem mein Kind sicher ist!

Wenn ich jetzt zurückdenke und probiere zu verstehen, was ich mir gewünscht hätte, oder was ich vermisst habe, dann wird klar dass es mir darum ging mein Kind in einem sicheren Raum zu wissen. Einen Raum aus dem ich sie unverletzt wieder abhole. An den Tagen nachdem ich bei den Erzieher*innen entweder bestimmte Situationen angesprochen hatte, oder meine Tochter mir von Ereignissen erzählte, hatte ich immer Bauchschmerzen. Ich hatte fast Angstzustände bei dem Gedanken, dass sie mir heute wieder von einem rassistischen Vorfall erzählen würde und habe probiert nicht zu auffällig zu fragen, wie es in der Kita gewesen sei. Ich hatte einfach Bedenken, dass ich sie dieser ‚Gewalt‘ wissentlich weiter aussetze und habe mir alle möglichen Szenarien ausgemalt. Meine Tochter ist sehr resilient und sie hatte mehrheitlich, das glaube ich zumindest, eine gute Zeit. Sie hatte Freund*innen. Sie mochte ihre Erzieher*innen gerne. Trotzdem war sie nicht geschützt. Das jede Kita ein Schutzkonzept haben muss, dass wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Dass das Konzept unserer Kita Schutz vor Alltagsrassismus oder rassistischer Diskriminierung nicht beinhaltete, dass wusste ich auch nicht. Es beinhaltet, dass alle Kinder vor Machtmissbrauch geschützt sein sollten und keiner Gewalt ausgesetzt sein sollten, aber benennt rassistische Diskriminierung nicht explizit. Und das Problem damit? Was nicht benannt wird, existiert nicht.

Rassismus hat psychische Auswirkung auch auf die Kleinsten

Eltern sind meist hochsensibel dafür, wenn ihr Kind traurig ist, weil es ausgeschlossen wird. Wenn es nicht mitspielen darf, weil das jeweilige Alphakind bestimmt hat, dass es zu klein sei oder weil es nicht den richtigen Bagger dabeihat.
Doch Ausschluss aufgrund von unveränderlichen Merkmalen ist etwas anders und auch für Kinder schon hoch belastend. Sie erfahren es als ‚racial stress‘. Symptome können auch im Erwachsenenalter Depression, Emotionsregulationsstörungen, Vertrauensverlust und grundsätzliche Stresssymptome sein und man mag sich nur ausmalen, was es für Kinder bedeutet, wenn ihnen implizit immer wieder verdeutlicht wird, dass sie ‚anders‘ sind, dass sie nicht dazugehören und das in einem Alter in dem ‚dazugehören‘ das wichtigste auf der Welt ist. Diese Erfahrungen übertragen sich schnell in ein vermindertes Selbstbild und geringeres Selbstvertrauen.
Die Diplom Psychologin Stephanie Cuff-Schöttle bestätigt, dass es mittlerweile international belegt ist, dass die Auswirkungen von rassistischen Erfahrungen Auslöser für psychosomatische Störungen sein können. Ich als Schwarze Mutter leide dazu ja selbst an den Auswirkungen dieser rassifizierten Stresssymptome, die ich natürlich auch erlebe und an die ich mich aus meiner Kindheit erinnere. Wenn ich mitbekomme, dass meine Tochter leidet, dann fühlt es sich aber noch mal anders an, wie als wenn man den Schmerz durch eine Lupe vervielfacht. Das heißt, dass hier die psychische Gesundheit ganzer Familien auf dem Spiel steht. Ich glaube, dass der Ansatz über Rassismus als gesundheitsgefährdend nachzudenken, uns potenziell neue Ansätze bieten könnte.

Bildung als Schlüssel zur Veränderung

Als Reaktion zu meinem Ursprungsartikel bekam ich unter anderem auch Zuschriften von verunsicherten Erzieher*innen und Ausbilder*innen. Diese bestätigten, dass der Umgang mit Diskriminierungserfahrungen nicht Teil der bestehenden Ausbildung ist. Es gibt Ansätze und Fachstellen hierzu, aber der Großteil wies darauf hin, dass vor allem auch die betroffene Elternperspektive fehle. Ansätze dazu, wie man mit Eltern umgeht, die auf rassistische Erfahrungen ihrer Kinder hinweisen, Beschwerdemechanismen in den Institutionen, die nicht die typische Abwehr voraussetzen, all dies war und ist nicht leicht zugänglich. Eine Freundin, die momentan eine Ausbildung zur Erzieherin macht, berichtet mir von ihren Kämpfen mit ihren Dozent*innen rund um das Thema und wie es platziert sein sollte. Und genau hier würde ich ganz klar einen Fokus sehen. In der Ausbildung von pädagogischem Personal. Eine inklusivere, diversitätsbewusstere Ausbildung hat aus meiner Perspektive nur Vorteile. Wenn unsere Erzieherin geschult gewesen wäre, dann wären die Vorfälle, die wir erlebten, Momente des Lernens gewesen. Es wären Momente gewesen in denen der Gruppe klargemacht worden wäre, dass alle Menschen richtig sind wie sie sind, dass man Körper nicht kommentiert und dass jeder Daseinsberechtigung hat.

Mein Apell: “ Redet mit euren Kindern über Rassismus“

Zu allerletzt aber gilt mein Apell auch immer vor allem weißen Eltern. Redet mit euren Kindern über Rassismus. Es gibt hierzu mittlerweile Ratgeber ( „Wie erkläre ich Kindern Rassismus“ von Familiar Faces z.B. kostenfrei zugänglich über ihre Website) und es erlaubt Kindern Gerechtigkeit zu verinnerlichen. Ich stärke meine Tochter regelmäßig, damit sie den Umgang mit Rassismus lernt. Wie schön wäre es, wenn das nicht mehr notwendig wäre, weil die anderen Kinder sensibilisiert sind. Mehr Vielfallt in Büchern und Spielzeugen würden spielerisch eine Selbstverständlichkeit kreieren, die dazu beiträgt, dass Kinder die migrantisch gelesen werden, in ihren Realitäten vorkommen und nicht mehr hinterfragt werden müssen. Diese Arbeit können wir nicht übernehmen. Wir haben genug damit zu tun unsere Kinder zu empowern und auf diese doch sehr ungerechte Welt vorzubereiten. Fordert in euren Kitas Schulungen fürs Personal ein, auch wenn ihr nicht direkt betroffen seid. Denn dann verändert sich vielleicht auch etwas. Wie jede andere Mutter auch möchte ich, dass meine Tochter, genau so wie sie ist, einfach wachsen kann, dass sie den Freiraum bekommt ihr Potenzial zu entfalten und das sie nicht glaubt falsch zu sein in einem System, dass sie nicht mitdenkt.
Noch geht es uns gut in der Schule, aber wir wissen auch hier werden uns noch viele Kämpfe bevorstehen. Aber jetzt gerade genießen wir einfach den Moment.

Bist du selbst betroffen? U.a beim Antidiskriminierungsverband Schleswig-Holstein kannst du sich beraten lassen.
Willst du deine Geschichte erzählen? Werden Sie eine Lotsin*
Die von Aileen Puhlmann angesprochenen Quellen findest du hier:
Sandra Richter; Stephanie Cuff ,‘ Kita Spezial Rassismus‘ https://www.eltern-helfen-eltern.org/service/KiTa-Spezial-Rassismus-190620.pdf
American Pschychological Association ‚Racial Stress and Self Care‘ https://www.apa.org/res/parent-resources/racial-stress

Ein Beitrag von Aileen Puhlmann