„Alarmieren sollte mich, wenn sich das Verhalten eines Kindes verändert hat“.

Die Zeit in der Pandemie hat uns alle, mehr oder weniger, an unsere Grenzen gebracht. Besonders herausforderd war die Zeit für Familien. Strukturen sind weggefallen, Freund*innen konnten nicht getroffen und der Lieblingssport nicht ausgeübt werden. Eltern mussten oft Erwerbsarbeit, Erziehungsarbeit und das Homeschooling unter einen Hut bringen. Mehr als nur eine Belastungsprobe für alle Beteiligten. Wir haben mit Frau Frauke Schöffel vom Wendepunkt e.V. über zunehmende Gewalt in den Familien und wie wir darauf reagieren können gesprochen.

In den Medien wird davon berichtet, dass die Gewalt gegen Kinder im letzten Jahr massiv zugenommen hat.  Können Sie dies auch für den Kreis Pinneberg bestätigen?

Für den Wendepunkt ist diese Frage schwer zu beantworten. Da in den meisten Fällen, die bei uns in der Einrichtung angefragt werden, Gewalt in unterschiedlichsten Formen eine Rolle spielt.  Im Bereich der ambulanten Hilfen (SPFH) haben wir mit Blick auf das vergangene Jahr wahrgenommen, dass Familien, die bis dahin in ihrem Erziehungsverhalten sicher waren, durch die Belastungen der Einschränkungen durch die Pandemie an ihre Grenzen gekommen sind. Homeschooling ist eine große Belastung für beide Seiten. Sein eigenes Kind schulisch unterstützen zu müssen, ihm etwas beizubringen, erfordert Geduld. Während der Look-Down-Phasen gab es nur meine Familie, keine Freunde, die ich treffen konnte, kein Sportverein, keine anderen Kontakte, die in Präsenz stattfanden.
Für Teenager eine große Herausforderung. Eigentlich für das gesamte familiäre System.

In dieser Phase wird es in vielen Familien, die bisher nicht von dieser Thematik betroffen waren, turbulenter zugegangen sein, verbal und auch körperlich. Da Schulen und Kitas erst jetzt wieder öffnen, werden jetzt auch erst die Folgen deutlich. Beide Institutionen haben hier die Rolle einer Kontrollinstanz.
Erst Ende des Jahres kann benannt werden, ob die Gewalt im Kontext Familie zugenommen hat.

Wenn ich nun viel mit Kindern zusammenkomme, ob in der Schule, der Kita, der Jugendgruppe oder auch mit den Freund*innen der eigenen Kinder: Was sollte mich denn alarmieren, bzw.  auf welches Verhalten, welche Anzeichen kann ich achten?

Alarmieren sollte mich, wenn sich das Verhalten eines Kindes verändert hat. Wenn ein fröhliches Kind nun still und in-sich- gekehrt ist. Oder aber auch umgekehrt.  Aufmerksam sollte ich immer dann sein, wenn mir dieses Kind ein Verhalten zeigt, das vorher nicht da war. Das kann eine Schlafstörung sein, ein anderes auffälliges Essverhalten, eine Unruhe, die vorher nicht da war, in der Schule ist es „verträumt“, im Sportunterricht macht es nicht mehr mit, möchte nicht mehr mit ins Schwimmbad gehen, möchte nach der Schule nicht nach Hause…

Wenn ich den Verdacht habe, dass ein Kind Gewalt erleben muss- wie kann ich darauf reagieren?

Mit dem Kind in Kontakt kommen, bzw. bleiben. Mit ihm ein Vertrauensverhältnis aufbauen, ihm das Gefühl geben bei mir bist Du sicher, du kannst mir vertrauen. Aber auch, wie es in §8a vorgesehen ist handeln. Bin ich in einer Institution tätig (Schule, Kita, Sportverein, etc.) gelten hier die vereinbarten Kindeswohlgefährdung-Richtlinien.
Nachbarn, Freunde, Familie können sich an das zuständige Jugendamt wenden, das dem Verdacht nachgeht.

Finde ich denn auch irgendwo Hilfe, wenn ich ein Elternteil bin, gegenüber meinen Kinder gewaltvoll bin und das durchbrechen möchte?

Hilfe bietet jedes Jugendamt an. Nicht mit dem Ziel das Kind „wegzunehmen“ sondern zu unterstützen! Geschaut wird dann, was die Familie an Unterstützung braucht. Brauchen z.B. Elternteile eine Therapie, da sie als Kind selbst von Gewalt möglicherweise betroffen waren, und wo finden sie diese? Braucht die Familie Hilfe durch eine SPFH? All das sind Themen für die Jugendämter, die dann die passgenauen Hilfen in einer Familie einsetzen.  (z.B. eine Familienhilfe durch den Wendepunkt)

Weitere Anlaufstellen können z.B. alle Erziehungsberatungsstellen sein. Der Wendepunkt bietet speziell für Männer eine Beratung zu dem Themenkomplex „Gewalt in der Familie“ an und in der Wendepunkt Beratungsstelle in Hamburg- Altona bieten wir eine Gruppe für Frauen an, die sexuell übergriffig gegenüber ihren eigenen Kindern waren oder sind. Auch Familienhilfe bieten wir an.

Liebe Frau Schöffel, vielen Dank für das Interview!

Ihr möchtet Kontakt aufnehmen?
Hier kommt ihr zur Homepage vom Wendepunkt,
hier zum den Sozialen Diensten vom Jungendamt des Kreises Pinneberg und hier kommt ihr zum Hilfeportal der Kreisverwaltung mit einer großen Auswahll von Beratungs- und Anlaufstellen im Kreisgebiet.

Der WENDEPUNKT e.V. engagiert sich seit 1991 für Respekt und Gewaltfreiheit in Erziehung, Partnerschaft und Sexualität im Kreis Pinneberg und darüber hinaus. Als gewaltpräventive Einrichtung bietet er eine Vielzahl an Maßnahmen und Angeboten, um körperliche, psychische und sexuelle Grenzverletzungen früh zu erkennen, kompetent einzugreifen und für die Zukunft verhindern zu helfen. Die Angebote richten sich an Kinder & Jugendliche, Eltern & Familien sowie Fachkräfte.

Ein Beitrag von Tinka Frahm, Gleichstellungsbeauftragte Kreis Pinneberg