Über ihr Wirken, Leben und den aktuellen Krieg in der Ukraine

Nahed Al Essa ist mit ihren Eltern in Damaskus aufgewachsen und hat in der „Stadt des Jasmin“ bis 2015 gelebt. Nachdem der Bürgerkrieg unter der Herrschaft von Al Assad ausgebrochen ist, gelang Al Essa die Flucht nach Deutschland. Heute lebt sie mit ihren Kindern im Kreis Pinneberg und arbeitet als Dolmetscherin sowie Autorin. 

Sie haben Ihren ersten Roman „Ein verpasster Anruf“ in der arabischen Sprache verfasst. Ihr zweites Werk ist ein deutschsprachiges Hörbuch. Wann haben Sie das Schreiben als Ihre Ausdrucks- und Kunstform entdeckt?

Ich bin mit arabischer Literatur aufgewachsen, weil mein Vater Gedichte geschrieben und uns vorgelesen hat. So fließen die Leidenschaft und Fähigkeit für das Schreiben in meinen Adern. Schon in der Grundschule habe ich auf der Bühne bei feierlichen Anlässen Gedichte von Autorinnen und Autoren vorgetragen. Sowohl das Schreiben, als auch das Präsentieren literarischer Texte vor Publikum brachte und bringt mich immer noch zum Strahlen. Es ist für mich der Ausdruck von Leben, Liebe und Stärke. Das Schreiben gibt mir die Kraft, auch mit schwierigen und schmerzhaften Erfahrungen umzugehen und einen heilsamen Neuanfang zu wagen.

In dem autobiografischen Hörbuch „Über die Schulter blicken“ erzählen Sie, dass der 24. August 2015 Ihr Leben in ein „Vorher“ und ein „Nachher“ gespalten hat. Was meinen Sie damit?

„Vorher“ ist das Leben in Damaskus, der Stadt des Jasmin. Der schöne Duft dieser Ölbaumgewächse prägte mein gutes und erfülltes Leben mit meiner Familie bis zum Bürgerkrieg. Aus diesem Leben musste ich meine Wurzeln ausreißen. Ich habe das Lebensnotwendigste in einen Rucksack gepackt und mich auf meinen Fluchtweg gemacht. Die Suche nach Frieden begann am 24. August 2015. „Nachher“ ist das heutige Leben in Deutschland in Sicherheit. Den gesuchten Frieden habe ich hier gefunden. Aber alles braucht seine Zeit: Selbst eine Pflanze, die auf einer Fensterbank neu positioniert wird, braucht viel Zeit, um wieder zu blühen.

Durch den Ukraine Krieg sind wieder Millionen Menschen auf der Flucht, besonders Frauen und Kinder kommen zu uns. Was sagen Sie dazu?

Wir, die geflüchteten Frauen und Suchenden nach Frieden, sehen den russischen militärischen Angriff auf die Ukraine mit anderen Augen, denn wir müssen unsere Großeltern nicht nach ihren Kriegserfahrungen fragen. Wir haben die Auswirkungen von Krieg und Gewalt selbst erlitten: Die Geschichte zeigt uns, dass der Krieg herzlos ist. Die militärischen Maßnahmen unterscheiden nicht zwischen zivilen oder militärischen Zielen. Die Menschen zahlen den höchsten Preis. Die Gebäude können wiederaufgebaut werden, aber die Frauen, Kinder und Männer, die ums Leben gekommen sind, kommen nicht zurück! Der europäische Zusammenhalt in der ukrainischen Krise beeindruckt mich so sehr, dass ich mir wünsche, aus einem europäischen Land zu stammen. Ich hoffe, dass es schnell Frieden in der Ukraine gibt.

Jetzt leben Sie mit Ihren Kindern in Deutschland. Wie geht es Ihnen heute?

Ich bin vollkommen in Deutschland angekommen. Auf den Straßen werde ich begrüßt. Zu den deutschen Bühnen habe ich eine wunderbare Beziehung aufgebaut. Kirchengemeinde, Vereine, Schule und Universitäten haben mich zu Lesungen eingeladen. Diese Erfahrungen sind meine Integrationsgeschichte. So ist der Wunsch nach einer deutschen Staatsangehörigkeit entstanden. Ich habe sie beantragt und warte seit einem halben Jahr auf eine Antwort. Ein bisschen Bürokratie muss sein! Damaskus werde ich weiterhin im Herzen tragen, dieses ermöglicht mir auch meine Arbeit als Dolmetscherin. Als Dolmetscherin baue ich zwischen den Menschen und verschiedenen Kulturen Brücken auf. Die Übersetzung der arabischen Sprache in das Deutsche lässt mich nie vergessen, woher ich komme und wo ich angekommen bin.

Meine Kinder gehen schon ihre Wege, dabei begleite ich sie ganz stolz!

Deutschland bedeutet für mich die Chance zum Überleben. Und die habe ich ergriffen.

Frau Al Essa, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Wenn du mehr über Nahed Al Essa erfahren möchtest, ihre Bücher lesen willst oder Lust hast, eine Lesung zu buchen, besuche sie einfach auf www.nahed-alessa.com.

Ein Beitrag von Deborah Azzab-Robinson, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Pinneberg