Weil sie Frauen sind. Warum wir Femizide nicht länger ignorieren dürfen und was wir dagegen tun können.

Beziehungsdrama, Familientragödie, verschmähte Liebe: Was auf den ersten Blick wie die Zusammenfassung eines mittelmäßigen Romans klingt, beschreibt in Wirklichkeit einen Femizid, also die Tötung einer Frau aufgrund ihres Geschlechts.

Obwohl Femizide kein regionales Problem sind, sondern weltweit, in allen sozialen Schichten und somit auch in Deutschland auftauchen, werden sie erst seit wenigen Jahren vom Bundeskriminalamt (BKA) statistisch ausgewertet[1]. Die Fallzahlen sind dabei erschreckend hoch, allein zwischen 2015 und 2020 haben mehr als 800 Frauen ihr Leben durch Femizide verloren. Was zwischen Aktenzeichen, medialer Berichterstattung und öffentlichen Debatten oft in Vergessenheit gerät:  Dass Frauen getötet werden, weil sie Frauen sind. Dass gesellschaftliche Strukturen der Nährboden für geschlechtsspezifische Gewalt und die damit einhergehenden Machtverhältnisse, den Frauenhass und das Besitzdenken sind, die dann im äußersten Fall zu Femiziden führen. Und dass diese Frauen, die wir oft nur als Teil der Statistik wahrnehmen, Mütter, Töchter, Schwestern und Freundinnen waren. Dass sie Familien, Partner*innen, Kinder und vor allem Lücken hinterlassen, die sich nie wieder schließen werden.

Mit der Trennung steigt das Risiko

„Wieso lässt du dir das gefallen? Trenn dich doch einfach!“ – Sätze wie diese hören gewaltbetroffene Frauen oft, sobald sie sich jemandem anvertrauen. Was Außenstehenden dabei oft nicht klar ist: Mit der Trennung steigt das Risiko nochmals deutlich an. In etablierten Beziehungen erhöht bereits die Äußerung eines Trennungswunsches oder die Ankündigung der Trennung die Gefahr für die Frau, erneut Opfer von Gewalt und Stalking zu werden – bis hin zum Tötungsdelikt[2].

Unterstützung und Hilfe finden Betroffene an verschiedenen Stellen: Das Hilfetelefon berät in über 18 Sprachen und ist rund um die Uhr für Hilfesuchende, Angehörige und Fachkräfte erreichbar. Die Beratung ist anonym, kann telefonisch, via Mail oder im Live-Chat erfolgen und ist auch in Gebärdensprache und Leichter Sprache möglich. Die Mitarbeiterinnen des Hilfetelefons unterstützen darüber hinaus auch bei der Suche nach Anlaufstellen und Unterstützung vor Ort, ergänzend dazu kann die Suchfunktion des Bundesverbandes der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe genutzt werden. Wie das Angebot des Hilfetelefons ist auch das Angebot der Frauenberatungsstellen und Notrufe kostenlos, unverbindlich und auf Wunsch anonym. Ebenso ist es möglich, die Beratung mehrfach in Anspruch zu nehmen, auch Kontakte zu Anwältinnen und weiteren Institutionen können bei Bedarf über die Beratungsstellen und Notrufe vermittelt werden; die Mitarbeiterinnen unterliegen zudem der Schweigepflicht. Für Frauen, die einen Platz in einem Frauenhaus benötigen, stellt die Zentrale Informationsstelle autonomer Frauenhäuser mit der Frauenhaus-Suche ebenfalls eine Übersicht zur Verfügung, mit der bundesweit nach verfügbaren Plätzen für Frauen (und ihre Kinder) gesucht werden kann.

Aber: Die Ressourcen sind begrenzt. In vielen Regionen sind die Frauenhäuser voll belegt oder überfüllt, schutzsuchende Frauen müssen somit unabhängig von ihrer Situation und ihrem individuellen Risiko abgewiesen werden. Auch die Empfehlung des Europarats, pro 7.500 Einwohner*innen einen Frauenhausplatz zur Verfügung zu stellen, erfüllen einer CORRECTIV-Recherche zufolge mit Bremen und Berlin lediglich zwei der 16 deutschen Bundesländer. Und: Sind Kinder im Spiel, wird es zunehmend kompliziert. So verweist eine aktuelle Studie zum Familienrecht in Deutschland auf mehrere Fälle, in denen man den Tätern nach häuslicher Gewalt positiv anrechnete, „dass sie nur ihre Frauen aber nicht ihre Kinder geschlagen hätten“[3].

Was wir von anderen Ländern lernen können

Mit dem Gewaltschutzgesetz, der Ratifizierung der Istanbul-Konvention und bundesweiten Anlaufstellen für gewaltbetroffene Frauen (und ihre Angehörigen) hat Deutschland bereits erste Strukturen geschaffen, die bei der Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen erfolgreich eingesetzt werden können. Gleichzeitig herrscht an vielen Stellen noch Nachholbedarf – hier lohnt sich ein Blick in andere Länder. So erfasst Spanien bereits seit 2003 die Anzahl der Frauen, die durch ihren (ehemaligen) Partner getötet worden sind; zu jedem Fall erfolgt mediale Berichterstattung. Während die Anzahl der Femizide deutlich gesunken ist, steigen die Anzeigen zu häuslicher Gewalt – dennoch lässt sich ein positiver Trend erkennen, denn das Problem wird als solches wahrgenommen und Betroffene werden entsprechend unterstützt. Mit Blick auf die Verantwortung der Medien mahnt der österreichische Presserat zu mehr Respekt vor den Opfern: Die Verharmlosung von Femiziden als „Beziehungsdrama“ oder „misslungener Flirtversuch“ ist demnach ebenso unangebracht wie die Veröffentlichung von Bildern der getöteten Frauen. Auch der Landesverband der Frauenberatungsstellen in Schleswig-Holstein (LFSH) hat bereits Empfehlungen herausgegeben, die Journalist*innen beim Verfassen von Artikeln oder Meldungen zu Gewalt gegen Frauen unterstützen sollen. In Argentinien haben währenddessen die Proteste der „Ni una menos“-Bewegung (dt. „Nicht eine weniger“) zur Gründung eines Ministeriums für Gender, Frauen und Diversität geführt, Kinder ermordeter Frauen erhalten zudem eine (geringe) Waisenrente.

Das Grundproblem bleibt

Unabhängig von Schutzstrukturen, neuen Strategien und politischen Debatten: Das Grundproblem bleibt. Wer Femizide verhindern will, muss sie nicht nur als solche benennen und erfassen, sondern zuallererst erkennen, dass sie ein globales und gesellschaftliches Problem sind. Die Grundlage für die Prävention von Femiziden ist somit die Anerkennung und Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt. Dazu gehört neben umfangreicher Aufklärung auch die Bereitstellung weiterer Frauenhausplätze und Schutzwohnungen, Sensibilisierung in allen Altersklassen und sozialen Schichten, sowie angemessene, respektvolle Berichterstattung. Denn jede Frau hat das Recht auf ein gewaltfreies Leben ohne Angst.

Sie sind von Gewalt betroffen oder kennen eine betroffene Person?

Wenden Sie sich gern an Beratungsstellen und Frauenhäuser im Kreis Pinneberg!

Frauen*beratung Elmshorn
An der Bahn 1, 25336 Elmshorn
info@frauenberatung-elmshorn.de
04121 – 6628
Frauenhaus Elmshorn
frauenhaus.elmshorn@gmx.de
04121 – 25 8 95
Frauenberatung Pinneberg
Bahnhofstraße 29-31, 25421 Pinneberg
info@frauennetzwerk-pinneberg.de
04101 – 51 31 47
Frauenhaus Pinneberg
info@frauenhaus-pinneberg.de
04101 – 20 49 67
Frauenhaus Wedel
info@frauenhaus-wedel.de
04103 – 14553

[1] Lehnert, B. & Gerberding, C. (2022): Gewalt gegen Frauen: Jeden dritten Tag geschieht ein Femizid. Online verfügbar unter: https://www.ndr.de/kultur/Femizide-in-Deutschland-Wenn-Maenner-Frauen-toeten,femizid100.html

[2] Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (2021): Gefährdungen von Frauen als Hochrisikofall
erkennen und einschätzen. Effektive Maßnahmen zum Schutz entwickeln. Regionale Kooperationen und wirksames Fallmanagement aufbauen.
Online verfügbar unter: https://www.frauen-gegen-gewalt.de/de/infothek/arbeit-mit-hochrisiko.html

[3] Hammer, W. (2022): Familienrecht in Deutschland – Eine Bestandsaufnahme. Online verfügbar unter: https://jimdo-storage.global.ssl.fastly.net/file/6eea0222-d81d-4267-80a8-5ed1f987a5db/Familienrecht-in-Deutschland-Eine-Bestandsaufnahme.pdf

Ein Beitrag von der Frauen*beratungsstelle Elmshorn