Frauen und Mobilität. Was haben Geschlechterverhältnisse mit Verkehrsplanung zu tun?

Auf den ersten Blick scheinen Verkehrs- und Mobilitätsplanung geschlechtsneutrale Bereiche zu sein. Denn die Zeiten, in denen Frauen nicht selbstbestimmt Fahrrad- oder Autofahren[1] konnten, sind hierzulande ja schon länger vorbei. Jede*r kann Mobilität nutzen, aber bei genauem Hinsehen gibt es auch hier geschlechtsspezifische Unterschiede. Wie Geschlecht und Mobilität zusammenhängen, wurde bei einem Fachworkshop in der Gemeinde Rellingen erörtert.

Schon während der Kennenlernrunde des Workshops wurde deutlich, dass das Thema Mobilität jede der anwesenden Frauen bereits auf eine gewisse Art beschäftigt: Eine hat Angst um die Sicherheit ihrer Kinder auf dem Schulweg, eine muss mehrmals am Tag Strecken mit dem Auto zurücklegen, um ihre Mutter zu versorgen, eine moniert, dass es für Seniorinnen keine guten Busverbindungen gibt. Da Frauen immer noch den Großteil der Sorgearbeit für Kinder und Familienangehörige übernehmen und diese Gruppen besondere Mobilitätsanforderungen haben, ist eine geschlechtergerechte Verkehrsplanung eine, die die Bedarfe von Kindern, Kranken und Seniorinnen und deren Begleitpersonen berücksichtigt.

Versorgende Mobilität

Frauen nutzen Verkehrsmittel eher, um Aufgaben aus dem Bereich der Sorge-Arbeit zu übernehmen. Dass das aber weniger mit ihrem biologischen Geschlecht als mit ihrer sozialen Rolle zu tun hat, wollen die Referentinnen des Abends – Paulina Domke und Janne Lentz – noch einmal klarstellen. Die sogenannten täglichen „Wegeketten“ von Frauen sind daher oftmals komplex: Sie fahren die Kinder zur Schule, dann selbst zu ihrer Erwerbsarbeit, holen die Kinder ab, fahren einkaufen, fahren die Kinder zu ihren Hobbies, versorgen zwischendurch eventuell andere Familienangehörige, fahren zu ihrem Ehrenamt und dann wieder nach Hause. Dabei haben Untersuchungen gezeigt, dass Frauen seltener Autos besitzen und nutzen als Männer, häufiger ÖPNV fahren und zu Fuß gehen.

Das Problem ist nun, dass der ÖPNV – gerade in einem ländlichen Kreisen – schlecht ausgebaut ist und zu wenig an die Bedarfe von Kindern und Menschen mit Unterstützungsbedarf ausgerichtet ist. Durch unflexiblen und schlecht getaktete ÖPNV geht Frauen, Seniorinnen und Kindern eine Menge Zeit verloren. Frauen und Mädchen wird dadurch auch der Zugang zu Bildungsangeboten und dem Arbeitsmarkt erschwert. Viele Wege, Haltestellen und Verkehrsmittel sind unsicher – so haben Ampeln zu kurze Taktungen, Busse zu wenig Platz für Kinderwagen, Haltestellen sind zu dunkel, sodass die Benutzung des ÖPNV für Frauen in den Abendstunden ein Sicherheitsrisiko darstellt. Habt ihr mal überprüft, ob alle Kitas in eurer Region mit dem ÖPNV erreichbar sind? Sind die Fahrradwege breit genug für Lastenräder? Gibt es für diese auch geeignete Stellplätze?

Die autogerechte Stadt

Historisch betrachtet ist die Nachkriegsverkehrsplanung von der Idee der autogerechten Stadt dominiert, wie Lentz und Domke in ihrem Fachvortrag erläutern. So wurde das Auto und die Bedarfe von Autofahrern in den Mittelpunkt gestellt. Dies waren zur Zeit des Ein-Ernährer-Modells vor allem Männer, die mit dem Auto zur Arbeit gefahren sind. Die Verkehrsplanung ist also zum einen auf das Auto, zum anderen auf die Verbindungen zwischen Wohnorten und Arbeitszentren konzentriert. Orte wie Kitas, Schulen oder Seniorenwohnanlagen wurden in der Verkehrsplanung viel zu lange nicht berücksichtigt. Die bisher häufig fehlende Geschlechterdifferenzierung in den Nutzungsstatistiken macht außerdem den Anschein, dass alle Menschen in gleicher Weise von Mobilitätsproblemen betroffen wären.

Paulina Domke (Hafen City Universität Hamburg/IBA Hamburg) und Janne Lentz (Universität Graz) beschäftigen sich schon seit geraumer Zeit sowohl im wissenschaftlichen Kontext als auch in ihrer Arbeitspraxis mit geschlechtergerechter Mobilitätsplanung. „Leider sind soziale Aspekte der Stadt- und Mobilitätsplanung aber immer noch nicht richtig im Curriculum der Universitäten verankert“, bedauern die beiden Nachwuchskräfte. Für die Stadt- und Verkehrsplaner*innen aus der Praxis sei dieser Zusammenhang deshalb oft Neuland – so auch für einige Teilnehmerinnen aus der Gemeinde Rellingen, die zunehmend an Verkehrsproblemen und verstopften Straßen leidet. Doch einige Städte und Kommunen zeigen bereits, dass sie es mit der Verkehrswende und einer sozial verträglichen Mobilitätsplanung ernst meinen.

Es geht auch anders

Die Stadt Wien gilt hier immer wieder als Vorreiterin. Schon 1998 wurde dort unter der Leitung der Stadtplanerin Eva Keil die Leitstelle „Alltags- und Frauengerechtes Planen und Bauen“ eingerichtet, welche in den folgenden Jahren viele Pilotprojekte für eine geschlechtergerechtere Stadt- und Mobilitätsplanung startete. Auch Barcelona erregte in den letzten Jahren Aufsehen durch einige Pilotprojekte zur Verkehrswende. Aus mehreren Bereichen in der Innenstadt wurde das Auto verbannt, die Straßen begrünt und zu Begegnungssorten umgebaut. So wurde nicht nur die Lärm- und Feinstaubbelastung reduziert, sondern vor allem für Kinder und Seniorinnen qualitativer Raum geschaffen. Kinder können sich nun viel sicherer alleine im Stadtteil bewegen, was die Eltern entlastet. Seniorinnen nutzen die Sitzinseln, auf denen sie sich ausruhen und nachbarschaftlich begegnen können.

Metropolregionen wie der Kreis Pinneberg und Großstädte unterscheiden sich strukturell zwar, sodass sich einige Maßnahmen nicht einfach übertragen lassen. Aber auch Gemeinden wie Rellingen können von den Pilotprojekten und den damit verbundenen Prozessen lernen. Das Ziel ist immer dasselbe: den Autoverkehr reduzieren, dafür den ÖPNV ausbauen und lebenswerte und sichere Verkehrswege und Orte schaffen. Das ist der Fahrplan für eine geschlechtergerechtere und sozial verträgliche Verkehrsplanung.

Weitere Informationen:

Von Mirbach, Johann: Wie gelingt die Verkehrswende: Metropolen in Bewegung. NDR Deutschland 2021.

Kläver, Anke: Frauen, Gender und Mobilität. Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung. 16.06.2021.

DLF Nova: Eva Kail zu Gender Planning. Stadtplanung, die Frauen gerecht wird. 10. November 2019.

Stadt Wien: Handbuch Gender Mainstreaming in der Stadtplanung und Stadtentwicklung. Werkstattbericht Nr. 130. Wien 2013.

Ein Beitrag von Nina Timmermann, Gleichstellungsbeauftragten der Gemeinde Rellingen


[1] Fahrradfahren war im 19. Jahrhundert noch eine Männerbastion. Angeblich würde die Fruchtbarkeit der Frauen durch das Fahrradfahren geschädigt und es würde ihrer Natur widerstreben, so lauteten die bekannten Gegenargumente. Zwar durften Frauen von vornherein eine Führerscheinprüfung ablegen, aber sie mussten in der BRD noch bis 1958 eine offizielle Genehmigung ihres Vaters oder Ehemanns dafür einholen.