Die Frage ist nicht ob, sondern wie

Jahrelang wurde dafür gekämpft, dass Frauen außer Haus arbeiten gehen können und somit finanziell unabhängig werden. Doch die Sorgearbeit und der Haushalt muss auch erledigt werden – Das ist für viele von uns ein alltäglicher Spagat. Im Rahmen des Equal-Care-Days am 1. März 2023 wurde im digitalen Gespräch mit Dr. Gabriele Winker darüber gesprochen, welche Veränderungen aus ihrer Sicht bei der Verteilung von Sorgearbeit anstehen müssten.

Wie wird Sorgearbeit derzeit verteilt?

Sorgearbeit (oder Care-Work) ist ein Begriff, der momentan unter Feministinnen hoch im Kurs ist. Doch was ist damit eigentlich genau gemeint? Unter Sorgearbeit versteht Dr. Gabriele Winker die Gesamtheit aus familiärer Arbeit wie Kinderbetreuung und Haushalt, ehrenamtlichen Engagement und entlohnter Sorgearbeit (z.B. in Erziehung, Bildung oder Gesundheitsberufen). Selbstsorge gehört ebenfalls dazu. Besonders an der Sorgearbeit ist, dass sie emotional und körperlich ziemlich anstrengend ist – denn die Sorgearbeit findet vor allem zwischen Menschen statt. Dazu kommt, dass sie gesellschaftlich gar nicht als Arbeit anerkannt ist.

Einen Großteil der nicht entlohnten Sorgearbeit übernehmen Frauen, wie der Gender-Care-Gap zeigt. Frauen wenden pro Tag im Durschnitt 52,4 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit auf als Männer. Somit haben wir, die Sorgearbeit leisten, weniger Zeit und Energie für Beruf, Hobbies oder politisches Engagement.

Das wir in diesem alltäglichen Spagat stecken liegt nun eben daran, dass die Rollenerwartungen sich verändert haben und die Frauenerwerbstätigkeit seit Jahren steigt. Das ist ja auf den ersten Blick erst einmal etwas Gutes.

Dr. Gabriele Winker ist Sozialwissenschaftlerin und Care-Aktivistin. Sie war bis 2019 Professorin für Arbeitswissenschaft und Gender Studies an der TU Hamburg, ist Mitbegründerin des Netzwerks Care Revolution und hat 2022 die Stiftung Care for Future gegründet. Ihr aktuellstes Buch trägt den Titel „Solidarische Care-Ökonomie. Revolutionäre Realpolitik für Care und Klima“ und ist im März 2021 im transcript-Verlag erschienen.

Warum eine Care-Revolution nötig ist?

(Unbezahlte) Sorgearbeit kann Spaß machen und Erfüllung bringen, allerdings wird eben im privaten Rahmen nicht bezahlt. Da Frauen also mehr Sorgearbeit übernehmen, haben sie weniger Einkommen. Gleichzeitig ist die Altersvorsorge aber weiterhin darauf aufgebaut, dass man ein Leben lang in Vollzeit gearbeitet hat- Was die wenigsten Frauen tun. Als Konsequenz ist jede dritte Frau von Altersarmut betroffen.

Hinzu kommt, wie Winker ergänzt, dass viele Frauen, die unbezahlte Sorgearbeit leisten, am Rande der Erschöpfung sind. Auch bei Menschen, die in Sorgeberufen arbeiten, zeigen sich überdurchschnittlich hohe und lange psychische Erkrankungsfälle. Dass dieses System nicht nachhaltig sondern in der Krise ist, das spüren wir also heute schon. Winker spricht hier von einer „Krise der sozialen Reproduktion“.

Viele versuchen sich aus dieser Krise zu befreien mit mehr Selbstsorge, Yoga oder Meditation. Laut Winker wird so das Problem nur individualisiert und bietet keine nachhaltige Lösung.

Wege in eine solidarische Care-Ökonomie

Winker plädiert daher für einen grundsätzlichen Umbau der Gesellschaft, der Lebens- und Arbeitsverhältnisse und die dazu gehörige sozialstaatliche Rahmung. Dazu benötigt es aber einen gesamtgesellschaftliches Umwälzungsprozess, der in folgenden Punkten erfolgen kann:  

  • Verkürzung der Erwerbsarbeit: Durch eine allgemeine Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit auf 30 Stunden pro Woche bliebe allen Menschen mehr Zeit für Sorgearbeit, auch den Männern.
  • Aufbau einer solidarischen Unterstützungsstruktur: Durch einen Ausbau und eine Entprivatisierung von öffentlicher sozialer Infrastruktur wie Schulen, KiTas, Gesundheitsversorgung, Mobilität oder Verkehr würden die Grundbedürfnisse des menschlichen Lebens garantiert und die Sorgelücke verkleinert werden.
  • Unterstützung vielfältiger Lebensentwürfe und demokratischer Prozesse: Wenn kommunale und basisdemokratische Projekte ausgebaut würden, könnte zusätzlich bedarfsspezifisch und vor Ort für die Menschen gesorgt werden.

Ein Beitrag von Nina Timmermann, Gleichstellungsbeauftragte der Gemeinde Rellingen und Eline Joosten, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Uetersen