Work-Life-Balance, Pausen machen, Achtsamkeit – Für viele sind das wichtige Worte. Für Eltern hingegen eher ein „Wo soll ich denn das noch unterbringen?“. Wenn Eltern zu zweit sind, können sie sich vielleicht gemeinsam Freiräume schaffen, aber was machen Alleinerziehende? Gemeinsam mit Frau Gschwendtner-Schütt möchten wir heute genau darüber sprechen.
Liebe Frau Gschwendtner-Schütt, warum sind Auszeiten so wichtig für uns?
Auszeiten ermöglichen uns aufzutanken und können uns neue Energie und Lebensfreude außerhalb des Familienalltags geben. Sie sind immer eine Zäsur im Alltag. Indem wir uns Auszeiten gönnen, sagen wir ‚ja’ zu uns selbst und wenn wir dabei nur faul auf dem Sofa liegen, mit einer Freundin im Café sitzen oder einen Tanzkurs besuchen. Indem wir in der Auszeit auf Abstand zu familiären Belastungen gehen, spüren wir unseren Körper oft besser und können neue Erfahrungen sammeln. Wir erleben uns in diesen Zeiten nicht in der Mutterrolle, tauschen uns zum Beispiel im Yoga-Kurs oder beim Singen im Chor mit anderen Erwachsenen aus und erhalten neue Impulse. Und diese Selbstzufriedenheit strahlt dann auch wieder auf die Kinder aus.
Ulrike Gschwendtner-Schütt ist familylab-Familienberaterin (familylab.de) und ElternCoach, hat eine systemische Familientherapie-Ausbildung und Pädagogik studiert, gibt regelmäßig Erziehungs- bzw. ‚Beziehungsvorträge’ in der Familienbildung Niendorf und Blankenese. Außerdem bietet sie gemeinsam mit der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt Schenefeld und der Familienbildungsstätte Wedel nun schon zum zweiten Mal den Online-Workshop „Familylab Online-Abende für getrenntlebende Eltern“ an, bei dem u.a. auch diese Fragen besprochen werden. Du hast Interesse an diesen und anderen Themen wie, „Nein“-sagen ohne schlechtes Gewissen; Umgang mit Medien und deren Absprachen; meine Grenzen, meine Stärken: Dann nimm doch auch gern an der nächsten Workshop-Reihe teil! Mehr Infos unter: Allein erziehen – Familylab Online-Abende (familienbildung-wedel.de) Du kannst jeder Zeit einsteigen.
Welche Tipps haben Sie für Eltern, um sich Freiräume im Alltag zu schaffen?
Ein Tipp wäre, einen festen Tag für Hobbys in der Woche einzuplanen und daran unbedingt festzuhalten. Dafür müssten die Kinder fremdbetreut werden, mithilfe eines Babysitters, einer guten Nachbarin oder Freundin. In manchen Städten oder Regionen gibt es Leihomas und Opas als alternative Kinderbetreuung, die nicht viel kosten, falls die eigenen Eltern oder die Familie nicht in der Nähe wohnen oder in Frage kommen. (weitere praktische Tipps, siehe unten)
Ein anderer Tipp wäre, öfter im Alltag zu den Kindern zu sagen: „Ich kann jetzt nicht mit dir spielen. Ich trinke meinen Tee und brauche Zeit für mich. Ich komme, wenn ich fertig bin!“ Das funktioniert dann, wenn man es aus voller Überzeugung und ohne schlechtes Gewissen sagt. Zum Thema quälendes schlechtes Gewissen, dass gerade Mütter im Alltag oft plagt, hatte der dänische Familientherapeut Jesper Juul immer eine einfache und humoristisch-geniale Antwort: „Das schlechte Gewissen gehört in den Wald. Tiefes Loch und hinein damit. Ein schlechtes Gewissen bringt niemanden weiter!“
Manchmal dauert es, bis die Kinder akzeptieren, dass wir mehr Auszeiten brauchen, gerade, wenn wir uns bisher zu wenig abgegrenzt haben. Dann kann man kurz erklären: „Ja, das ist neu für euch. Ich habe bisher viel zu wenig an mich gedacht. Aber das war ein Fehler von mir. Ich brauche jetzt Ruhe und komme gerne zu dir, wenn ich fertig bin.“
Wie sieht das bei Alleinerziehenden aus?
Für Alleinerziehende ist es ganz klar schwerer, sich abzugrenzen und bei sich zu bleiben. Dazu gehören immer irgendwie auch ein soziales Netzwerk, Freunde und Familie, die einen darin bestärken, dass man es wert ist, mal rauszukommen, dass man einen „guten Job“ macht und die einen darüber hinaus auch tatkräftig dabei unterstützen. Aber das geht nur über die Selbstfürsorge und Selbstliebe, die man sich möglichst schon am Morgen im Badezimmer beim ersten Blick in den Spiegel selber gibt.: „Ich bin eine tolle Frau, eine gute Mutter und muss mir heute mal wieder was gönnen. Weil ich es mir wert bin!“
Ich empfehle außerdem, dringend Gleichgesinnte zu suchen und sich regelmäßig in einer Gruppe von Alleinerziehenden auszutauschen. Heutzutage kann man solche Gruppenangebote, Vorträge und den Austausch unter Alleinerziehenden viel leichter finden als beispielsweise vor 30, 40 Jahren, als meine eigene Mutter sich in Hamburg als Alleinerziehende wie eine Exotin fühlte und deshalb nicht gern zum Elternabend ging.
Sie suchte jahrelang nach Gleichgesinnten und fand am Ende zwei Freundinnen, die alleinerziehend waren. Noch heute sagt sie: „Das war die Rettung. Von da an wurde alles leichter und ich konnte auch mal über mich selber lachen.“
Meine Mutter war immer ein Vorbild für mich, sich eigene Auszeiten zu nehmen. Ihre Meinung war: „Das steht mir zu!“
Und ist das nicht schlimm für die Kinder?
Das Gegenteil ist richtig. Indem wir für uns sorgen, unsere Batterien auftanken und uns als Eltern oder Alleinerziehende auch jenseits der Elternverantwortung spüren, sind wir immer auch das überzeugendste Vorbild für unsere Kinder. Indem wir unsere eigenen Grenzen erkennen, uns ein Recht auf regelmäßige Pausen und Hobbys einräumen – auch auf eine neue Liebesbeziehung, wenn wir das möchten – geht es uns psychisch und physisch besser. Wir werden sogar belastbarer. Wenn es der Mutter gut geht, geht es den Kindern gut. Das strahlt unmittelbar in die Kleinfamilie zurück und es gibt keine bessere Schule für zufriedene selbstbewusste Kinder. Außerdem gibt es diesen Mut machenden Spruch: Man kann bei Kindern jeden Tag neu anfangen. Jeder Tag ist eine neue Chance für die Kinder und sich selbst. Und aus meiner Erfahrung als familylab-Familienberaterin kann ich nur sagen: Worauf es ankommt, das ist die gesunde Portion Selbstfürsorge und Egoismus!
Vielen Dank für das Interview!
Praktische Hilfen für Alleinerziehende
Oma-Zentrale in Pinneberg, Notmütterdienst e.V., deutschlandweite Angebote wie Wellcome oder regionale Unterstützungshilfen wie Känguru und FamilienBuddy – Baby und FamilienBuddy – Kind,
weitere Hilfen über den Verband alleinerziehender Mütter und Väter e.V.
Ein Beitrag von Ute Stöwing, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Schenefeld