Gemeinsam solidarisch – das Fachgremium Geflüchtete Frauen und Mädchen

Das Fachgremium Geflüchtete Frauen und Mädchen hat sich 2016 gegründet. Es setzt sich inhaltlich und fachlich für eine Verbesserung der Unterbringungs-, Versorgungs- und Lebenssituationen sowie Integrationschancen von geflüchteten Frauen und Mädchen in Schleswig-Holstein ein und ermittelt ihre besonderen Bedarfe. Mitglieder sind Betroffene, Expert*innen von Frauen-, Sozial- und Wohlfahrtsverbänden wie der Paritätische, sowie Kommunen und andere Institutionen. Darunter sind unter anderem der Landesfrauenrat, Flüchtlingsrat, Landesverband Frauenberatung und die Fachstelle gegen Frauenhandel. Die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Pinneberg, Deborah Azzab-Robinson, ist für die Landesarbeitsgemeinschaft der hauptamtlichen und kommunalen Gleichstellungsbeauftragten seit der Gründung Mitglied des Gremiums.

Liebe Frau Azzab-Robinson, Sie sind seit der Gründung Mitglied des landesweiten Fachgremiums für geflüchtete Mädchen und Frauen (FAG). Welche Aufgaben und Ziele hat das Gremium?

Die Initiierung und Begleitung dieses interdisziplinären Gremiums war und ist für mich aus zwei Gründen wichtig: zunächst ist die Zusammenarbeit fachlich eine Bereicherung und auch persönlich eine aufregende und spannende Erfahrung: So viele Vereine, Verbände und Institutionen ziehen an einem Strang, sind mit geflüchteten Frauen und Kindern solidarisch! Das war und ist toll.

Die Lebens- und Versorgungssituationen von geflüchteten Frauen sind für mich zentrale Anliegen. Viele Frauen und Kinder haben Gewalt vor, während und auch nach der Flucht in Deutschland erlebt. Eine demokratische Gesellschaft zeigt ihr wahres Gesicht im Umgang mit den schwächsten Gliedern in der Gemeinschaft. Und das sind geflüchtete Frauen und ihre Kinder allemal. Deshalb hat das FAG als Aufgabe zum einen die Sichtbarmachung der rechtlichen Rahmenbedingung der geflüchteten Frauen und Kinder, zum anderen das Aufzeigen der tatsächlichen Auswirkungen auf deren Lebenswirklichkeiten.

An wen richtet sich die Arbeit des Gremiums?

Die rechtlichen Vorgaben sind besonders für die geflüchteten Menschen, die 2015 zu uns gekommen sind, komplex und kompliziert. Sie führen leider öfter zu ungesicherten Aufenthaltstiteln, fehlenden Integrations- Ausbildungs- sowie Arbeitsmöglichkeiten und damit zu Armut, Ausbeutung und Ausgrenzung. Hier müssen wir als Gesellschaft dringend gegensteuern. Genau das versuchen wir mit dem FAG. Wir haben gedacht: die Politik und damit gewählte Entscheidungsträger*innen müssen die Situation von geflüchteten Frauen und Kinder besser verstehen und nachvollziehen. So haben wir Stellungnahmen in die Landespolitik gegeben. Salopp gesagt: Guckt mal, so bedrückend ist die Lebenswirklichkeit hier vor Ort, wir als FAG fordern bessere rechtliche Regelungen und schlagen Maßnahmen vor, die ein Leben mit gleichen Chancen für alle ermöglichen sollen. Außerdem informieren wir die Öffentlichkeit, z.B. durch Pressemitteilungen, über unsere Anliegen. So sind wir quasi eine Schnittstelle zwischen Staat, Bürger*innen und Zivilgesellschaft.

Welche Auswirkungen hat der Ukraine-Krieg auf Ihre Arbeit im Fachgremium?

Der aktuelle Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine hat natürlich gravierende Auswirkungen für das FAG und die Kommunen vor Ort. Im Vergleich zu 2015 ist vieles gleich und vieles wieder neu.

Wieder sind Frauen und Kinder auf der Flucht und wieder erleiden sie Gewalt: Sexualisierte Gewalt wird ein weiteres Mal als Kriegswaffe eingesetzt und bringt unendlich viel Leid und traumatische Erfahrungen mit sich. Wieder trifft es die schwächeren Mitglieder einer Gesellschaft am härtesten.

Und das hoffnungsvolle „wieder“: wieder gibt es eine überwältigende Hilfe aus der Zivilgesellschaft, kümmern sich viele Ehrenamtler*innen um einzelne Familien und Menschen. Dabei können professionelle und ehrenamtliche Unterstützungsnetzwerke auf bereits bestehende Strukturen zurückgreifen und wir als FAG wollen diese nachhaltig ausbauen. Das gibt uns Mut. Und braucht auch Mut, denn nachhaltige Strukturen gibt es nicht zum Nulltarif.

Neu ist, dass die geflüchteten Menschen nicht mehr ein ganzes Meer überwinden müssen, bevor sie bei uns ankommen. Einer der größten Unterschiede ist auch, dass jetzt 2/3 der Schutzsuchenden Frauen und Kinder sind, wohingegen sich 2015 überwiegend Männer auf den Fluchtweg gemacht haben. Aufgrund der Aktivierung der europarechtlichen Massenzustromsrichtlinie können Ukrainer*innen direkt nach Deutschland kommen und müssen nur ein kurzes Aufnahmeverfahren unterlaufen. So ist eine erfolgreiche Integration viel schneller möglich, auch eine Grundsicherung kann so viel effektiver erfolgen. Damit sind sie im Vergleich mit den Geflüchteten aus dem Jahr 2015 privilegiert. Die Mitglieder des FAG erwarten hier eine Gleichbehandlung. Für uns ist das Entstehen von „zwei Klassen-Geflüchteten“ nicht hinnehmbar.

Welche Maßnahmen sind vor Ort sinnvoll?

Diese Frage ist für jede einzelne Kommune zu stellen und damit gar nicht so einfach zu beantworten. Deshalb haben wir Gleichstellungsbeauftragten im Kreis Pinneberg…Sie ahnen es: einen Arbeitskreis gegründet. Aber Arbeitskreise sind besser als ihr Ruf, weil hier Impulse, Ideen und Fachwissen aus einer Vielfalt von beruflichen Hintergründen und Biografien zusammenkommen und wir so Kompetenzen bündeln. Wichtig für alle Kommunen ist aber, dass geflüchtete Frauen und Kinder schnellen Zugang zu Hilfeeinrichtungen haben.

Darunter verstehen wir Beratungseinrichtungen für Migrationssozialberatung, Wohnungssuche, aber auch Frauenberatungsstellen, das bundesweite Hilfetelefon für Frauen und besonders Traumabehandlungen.

Welche konkreten Probleme müssen bewältigt werden und wie wollen Sie das angehen?

Viele Frauen und Mädchen brauchen auch einen Zugang zu Frauengesundheit: es gibt schwangere Frauen, an Brustkrebs erkrankte Frauen und solche, die von der Familienplanung abgeschnitten sind. In einigen Kommunen wollen wir offene Frauengruppen schaffen, damit sich Frauen aus der Ukraine austauschen und sich gegenseitig unterstützen können. Diese Treffpunkte sollen fachlich begleitet werden. So sind Frauenberatungsstellen, Diakonie, Gleichstellungs- und Integrationsbeauftragte eingebunden. Wir lernen uns und unsere Lebenssituationen auf Augenhöhe kennen und versuchen, passgenaue Lösungen für die genannten Probleme zu finden. Das ist teilweise sicher ein holpriger Weg, aber er wird uns gegenseitig näherbringen und das Verständnis und die Solidarität füreinander stärken. Dafür lohnt es sich schon! Außerdem sollen die kommunalen Gewaltschutzkonzepte für eine dezentrale Unterbringung angepasst werden. Viele kommunale Integrationsbeauftragte* begleiten Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren oder Ukrainer*innen bei sich aufgenommen haben. Hier gibt es sicher viel Bereicherndes, aber auch Anstrengendes: Wie lange bleibt die aufgenommene ukrainische Familie? Hat sich die aufnehmende Familie auf einen monatelangen Angriffskrieg eingestellt? Und auch für aufgenommene Frauen und Kinder kann es schwierig werden: werden wir zu einer Belastung? Es ist viel schwerer als gedacht eine bezahlbare Wohnung zu bekommen! Wir Gleichstellungsbeauftragten wollen sicherstellen, dass es nicht im Einzelfall zu sexuellen Übergriffen gegen Frauen kommt. Sex gegen Obdach darf es hier wie in keinem Fall geben! Wie können wir das sicherstellen? Mit unseren interdisziplinären Netzwerken leisten wir hier vor Ort eine kontinuierliche Informations- und Öffentlichkeitsarbeit. Die betroffenen Frauen sollen sich auf jeden Fall bei den Beratungsstellen Hilfe suchen oder sich von den Gleichstellungsbeauftragten vor Ort informieren lassen. Außerdem gibt es auf vielen Internetseiten der Städte im Kreis wichtige Informationen zu Unterstützungs- und Hilfemöglichkeiten.

Dies klingt nach sehr viel Arbeit. Können wir diese Herausforderungen alle meistern?

Ich glaube ja! Dafür ist aus meiner Sicht aber eine Voraussetzung unbedingt erforderlich: wir müssen unsere Ressourcen bedarfsgerechter verteilen. Gleichstellung der Geschlechter und eine humane Aufnahme von geflüchteten Menschen kann nur erfolgreich sein, wenn wir gleiche Teilhabechancen für alle Menschen schaffen, die hier dauerhaft leben.

Liebe Frau Azzab-Robinson. Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Mehr über die Arbeit des Fachgremiums erfahrt ihr hier.

Ein Beitrag von Tinka Frahm, Gleichstellungsbeauftragte des Kreises Pinneberg und Heidi Basting, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Elmshorn