Ein bisschen fühlt es sich an wie in den 70ern: Die Schlaghose ist modern, in den Medien streiten sich Politiker*innen über die Vor- oder Nachteile von Atomkraft und die Gesellschaft diskutiert mal wieder – oder immer noch? – über Abtreibungsrechte. Die derzeitige Debatte um Schwangerschaftsabbrüche hat viele Gründe: Weltweit beobachten Feminist*innen, Aktivist*innen und Frauenrechtsbewegungen mit Sorge die Verschärfung des Abtreibungsrechts und die damit einhergehende Verschlechterung von medizinischer Betreuung und Versorgung. Allein in Amerika haben in den letzten Wochen mehrere Bundesstaaten neue Gesetze erlassen oder angekündigt, die das Recht auf Abtreibung stark einschränken (mehr dazu im Artikel der Süddeutschen): Oklahoma untersagt Schwangerschaftsabbrüche künftig ab dem Moment der Befruchtung; in Texas haben ungewollt Schwangere nur bis zum Beginn der sechsten Woche Zeit, um die Schwangerschaft zu beenden. Ausnahmen gelten nur in Einzelfällen.
Entwicklungen wie diese beschränken sich jedoch nicht nur auf Amerika, sondern finden sich auch in Europa.
Schwangere Körper sind politisch
Dass Körper, die schwanger sind (oder es werden können), immer auch auf einer politischen Ebene mitgedacht werden müssen, zeigt auch der schreckliche Angriffskrieg Russlands, in dem Vergewaltigung als Kriegswaffe in der Ukraine eingesetzt wird. Als wäre die erlebte Gewalt, der Krieg und die Flucht nicht schon traumatisch genug, wird den ungewollt schwangeren Ukrainerinnen im Nachbarstaat Polen der Abbruch der Schwangerschaft untersagt – außer, sie können beweisen, dass die Schwangerschaft das Resultat einer Straftat ist (mehr dazu im Artikel des BR). Letzteres ist gerade für Geflüchtete aus Kriegsgebieten kaum möglich.
Immer wieder wird auch in Deutschland kritisch auf die Abtreibungsgesetze in Polen geschaut, nicht selten wird dann zugleich die vermeintliche Freiheit hierzulande hervorgehoben – was dabei oft vergessen wird: Auch in Deutschland ist ein Schwangerschaftsabbruch eine Straftat, der nur unter bestimmten Bedingungen straffrei ist.
Fast 96% aller Abtreibungen in Deutschland sind auf die Beratungsregel zurückzuführen (mehr dazu auch im Faktencheck von Profamilia):
Ungewollt Schwangere müssen dabei zunächst eine Beratungsstelle finden, zeitnah einen Termin vereinbaren und im Gespräch offenlegen, warum sie sich gegen die Schwangerschaft entscheiden. Nur wenn die gesetzlich vorgeschriebene Beratung durchgeführt und bescheinigt wurde, kann der Abbruch stattfinden – die Kosten dafür trägt die Schwangere selbst. Nicht selten führen Vorurteile und Stigmata dazu, dass Betroffene große Angst vor der Beratung haben und sich für versagende Verhütungsmittel, finanzielle Probleme oder andere Aspekte ihres Lebens rechtfertigen.
Der Kampf um mehr Selbstbestimmung ist kein neuer: Bereits in den 70er Jahren forderte die Frauenbewegung die Abschaffung des §218 und die Möglichkeit, sich frei für oder gegen eine Schwangerschaft entscheiden zu können (mehr dazu in dem bpb-Beitrag).
Warum wir sichere Schwangerschaftsabbrüche brauchen
Eine Schwangerschaft stellt eine körperliche Belastung dar, die den Körper irreversibel verändert und oftmals mit unangenehmen, unvorhersehbaren Begleiterscheinungen einhergeht. Niemand sollte gezwungen werden, eine ungewollte Schwangerschaft zu durchleben. Der Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen sichert (trotz gesetzlicher Hürden und zeitlicher Frist) die körperliche Selbstbestimmung.
Außerdem kann ein Abbruch Leben retten. Klingt absurd? Ist es aber nicht. Ist das Leben oder die Gesundheit der Schwangeren durch die Schwangerschaft gefährdet, kann der Abbruch der Schwangerschaft durchaus eine – oder die einzige – Option sein, um das Leben der Schwangeren zu retten. Dies ist bspw. bei einer Eileiterschwangerschaft der Fall: Wird zu spät erkannt, dass die Einnistung im Eileiter erfolgt ist, kann dieser reißen oder platzen, was wiederum zu schweren inneren Blutungen bis hin zum Tod der Schwangeren führen kann. Und auch für Frauen, die wissen, dass eine weitere Schwangerschaft für sie körperlich oder psychisch nicht tragbar ist, ist der Abbruch eine Option – die ihnen ermöglicht, bspw. schon vorhandenen Kindern weiterhin gerecht zu werden.
„Einfach verhüten“ ist ebenfalls keine Lösung, denn kein Verhütungsmittel ist zu 100% sicher, selbst dauerhafte Verhütungsmethoden (Vasektomie, Sterilisation) beinhalten ein Restrisiko. Und: Die Verantwortung für die Verhütung liegt nach wie vor oft bei der Frau. Auch hier benötigen wir mehr gesellschaftliche Diskurse in der Frage nach gleichberechtigter Partnerschaft, Sexualität und Selbstbestimmung. Zudem signalisiert bereits die Anwendung eines Verhütungsmittels sehr klar, dass eine Schwangerschaft (derzeit) nicht gewünscht ist und verhindert werden soll. Darüber hinaus ist Sexualität ein menschliches Grundbedürfnis – dieses so lang zu unterdrücken, bis eine Schwangerschaft biologisch nicht mehr möglich ist, ist unverhältnismäßig.
Hilfe für ungewollt Schwangere
Mit dem positiven Schwangerschaftstest stellen sich zugleich viele Fragen: Wo bekomme ich Hilfe? Wem kann ich mich anvertrauen? Was passiert bei einer Abtreibung? Bei der Suche nach einer passenden Anlaufstelle, kann eine kurze Internet-Recherche hilfreich sein: Viele Beratungsstellen geben auf ihrer Homepage offen an, dass sie
Schwangerschaftskonfliktberatungen durchführen. Auch Gynäkolog*innen verweisen teilweise direkt auf örtliche Beratungsstellen. Alternativ helfen Seiten wie https://www.familienplanung.de/, bei denen gezielt nach Einrichtungen in Wohnortnähe gesucht werden kann. (In einem anderen Beitrag haben wir die verschiedenen Schwangerenberatungsstellen hier in der Region verlinkt).
Auch wenn das Beratungsgespräch gesetzlich vorgeschrieben ist, stellen die Einrichtungen einen geschützten Raum dar, in dem Betroffene Sorgen äußern, Fragen stellen und Informationen erhalten können. Und auch, wenn es sich in dem Moment anders anfühlt: Sie sind nicht die Einzige und Sie sind nicht allein!
Klar ist: Wir brauchen den Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen. Damals wie heute: §218 muss weg.
Ein Beitrag der Frauen*beratungsstelle Elmshorn