„Echt jetzt? Gibt es nicht mal ein Thema, bei dem Gleichstellung mal nicht mitgedacht werden muss?“ Kurz: Nein, vermutlich nicht und schon gar nicht bei diesem. Die Digitalisierung betrifft uns alle, egal ob wir wollen oder nicht. Sie wirkt auf unser Arbeitsleben, hilft uns bei der Organisation von Terminen, kann bei sozialen Kontakten unterstützen und bestimmen, welche Art von Informationen und Nachrichten wir beim Surfen angezeigt bekommen.
Nicht erst seit Corona finden viele soziale Kontakte über den PC statt. Auf Plattformen wie z. B. Facebook, Twitter, WhatsApp und Telegram werden hitzige Debatten über die Probleme und Herausforderungen unserer Zeit geführt.
Wie kann bei einem solch umfassenden Thema Gleichstellung kein Thema sein? – Schon klar, Computer und Computerprogramme machen keinen Unterschied, welcher Mensch vor dem Gerät sitzt.
Ob Frau, Mann oder Divers, spielt für eine Maschine keine Rolle. Leider ganz im Gegenteil: Jedes Programm, jeder Algorithmus ist nur so gerecht, wie dieser programmiert wurde und eingesetzt wird.
Beispiele? Kein Problem.
Für den österreichischen Arbeitsmarkt Service (vergleichbar mit der Bundesagentur für Arbeit) wurde vor einigen Jahren ein Algorithmus geschrieben, der die arbeitsuchenden Menschen in drei Kategorien einteilen sollte.
In der ersten Kategorie sollen sich die wiederfinden, die nah am Arbeitsmarkt waren und keine Förderung, z. B. durch Fortbildungen, brauchten, um zurück an den Arbeitsmarkt zu kommen.
In der dritten Gruppe sollten sich die versammeln, die so weit vom Arbeitsmarkt entfernt waren, dass auch Fortbildungen nicht den gewünschten Effekt (der Aufnahme einer Arbeit) gebracht hätten.
In der zweiten Gruppe sollten die Menschen versammelt werden, die in der Mitte lagen. Nicht zu weit vom Arbeitsmarkt entfernt, aber auch nicht so nah dran, dass es ohne Qualifizierungen zur Arbeitsaufnahme gereicht hätte. Die Menschen in dieser Gruppe sollten dann Qualifizierungsmaßnahmen und Fortbildungen besuchen dürfen. Danach sollte einer Arbeitsaufnahme nichts mehr im Weg stehen. Rein betriebswirtschaftlich betrachtet, macht dieses Vorgehen vermutlich durchaus Sinn.
Was aber passierte war, dass in der zweiten Gruppe, also in der in der es um die Förderung ging, wesentlich weniger Frauen auftauchten, als in den anderen beiden Gruppen.
Grund dafür war, dass Frauen, die Kinder hatten, durch das System „Minuspunkte“ bekamen und damit oft in die 3. Gruppe rutschten. Männern mit Kindern wurden allerdings keine Minuspunkte eingetragen. Sie konnten also, trotz Kindern, in die zweite Gruppe einsortiertet werden und von den Fördermaßnahmen profitieren. Hier hätte es also geholfen, den Algorithmus vorher auf Geschlechtergerechtigkeit zu überprüfen. (Über dieses Fallbeispiel berichtete auch das TAB-Hintergrundpapier Nr. 24, das hier zu lesen ist.)
Soziale Medien – Ein Problem?
Um weitere Beispiele zu finden, lohnt sich ein Blick in die Welt der „sozialen Medien“. Ein bekanntes Beispiel ist hier der Fall von Renate Künast, die wegen zutiefst sexistischer und beleidigender Äußerungen in den Kommentaren deren Verfasser verklagte (und die Prozesse verlor). Dadurch wurde öffentlich, was viele schon selbst erfahren mussten. Der Umgang in den „sozialen Medien“ ist oft ganz wunderbar. Leider enthemmt diese Art der Kommunikation anscheinend auch viele Menschen. Aus welchem Grund auch immer, werden von vielen, nicht von allen, alle Regeln der anständigen Kommunikation über Bord geworfen. Es wird gepöbelt und bedroht, dass einer Angst und Bange werden kann.
Frauen, so zeigen die Erhebungen, sind hier besonders oft Opfer von übelsten sexistischen und rassistischen Bedrohungen. Darauf machte z.B. Plan International zum internationalen Mädchentag 2020 aufmerksam.
Als Folge ziehen sich viele Frauen aus den öffentlichen Diskussionen zurück und überlassen das Feld anderen (Männern). Vereinfacht ausgedrückt ist es also so, dass Frauen im gesellschaftlichen Raum des Internets immer unsichtbarer werden.
Hier würden, neben Anstand und Erziehung, deutliche Gesetze und ein striktes Vorgehen gegen Bedrohungen helfen, um das Internet und dessen Netzwerke zu einem schöneren Ort für uns alle zu machen.
Zu guter Letzt der Bereich der Lohnarbeit….
Beschleunigt durch Corona sitzen wir viel im Home-Office. Der Rückzug aus den gemeinschaftlichen Büros ins häusliche Umfeld hat begonnen und was für viele eine wirkliche Erleichterung ist, kann für andere zu einer Karrierefalle werden. Während die einen argumentieren, dass Home-Office zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf beiträgt, warnen wiederum andere Expert*innen davor. Es sind wieder die Frauen, die mit den Kindern zuhause bleiben und, getreu dem Motto „aus den Augen aus dem Sinn“ aus dem Arbeitsleben verdrängt werden. Ob dies schon so ist? Das weiß ich nicht. Es lohnt sich aber in jedem Fall hier noch genauer hinzuschauen, um so einer Entwicklung vorzubeugen.
Fest steht: Digitalisierung bringt viele Chancen, vereinfacht in wirklich vielen Punkten unser Leben und ist aus unserem Sozial- und Arbeitsleben nicht mehr wegzudenken.
Digitalisierung bedeutet aber auch viele Neuerungen auszuhalten und anzunehmen: Altes verschwindet, Neues entsteht. Es ist an uns dafür zu sorgen, dass diese Neuerungen so aussehen, dass alle gleichermaßen davon profitieren.
Digitalisierung betrifft also alle Lebensbereiche. Wie könnte es sein, dass so ein breiter, wichtiger Prozess keinen Einfluss oder keine Auswirkungen auf die Gleichstellung hat?
Genau deswegen ist es wichtig, dass die Digitalisierung auch aus der Sicht der Gleichstellung betrachtet wird – ob global, überregional oder lokal.
Mehr Input und Informationen gibt es:
… am 03.02.2021 auf der Konferenz Digitalisierung und Gleichstellung. Neue Chancen- alte Probleme?
… oder im dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung zum Thema Digitalisierung geschlechtergerecht gestalten.
Ein Beitrag von Tinka Frahm, Gleichstellungsbeauftragte des Kreises Pinneberg