Frauenbeauftragten sind ein wesentlicher Baustein zur Gewaltprävention in der Werkstatt.

Andrea Cornils ist 1. Vorsitzende der LAG der „Frauenbeauftragte in Werkstätten für behinderte Menschen in Schleswig-Holstein e.V.“ Sie hat für die Lotsinnen die Situation der Frauenbeauftragten in den Werkstätten zusammengefasst.

Rechtslage und Wahl der Frauenbeauftragten

Frauen mit Behinderungen sind zwei- bis dreimal häufiger von Diskriminierung und Gewalt betroffen als Frauen im Bevölkerungsdurchschnitt („Lebenssituationen und Belastungen von Frauen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen in Deutschland“). Um diese Situation zu verbessern, haben wir im Zuge der Reform des SGB 9 durch das Bundesteilhabegesetz im Oktober/November 2017 zum ersten Mal Frauenbeauftragte in Werkstätten für behinderte Menschen gewählt.

Wählbar sind Frauen mit Werkstattvertrag aus dem Arbeitsbereich einer WfbM (Werkstatt für behinderte Menschen). Aufgaben, Rechte und Pflichten sind in der Werkstätten-Mitwirkungsverordnung geregelt (WMVO §§ 39 a-c).

Zu unseren Aufgaben als Frauenbeauftragte gehört die Vertretung der Interessen der in der Werkstatt beschäftigten behinderten Frauen gegenüber der Werkstattleitung, insbesondere in den Bereichen Gleichstellung von Frauen und Männern, Vereinbarkeit von Familie und Beschäftigung sowie Schutz vor körperlicher, sexueller und psychischer Belästigung oder Gewalt.

Zu unseren Tätigkeiten gehören zum Beispiel die Einrichtung von Sprechstunden sowie die Zusammenarbeit mit der Werkstattleitung und dem Werkstattrat. Darüber hinaus organisieren wir Frauentreffs und vernetzen uns mit Akteurinnen außerhalb der Werkstatt, wie Frauenbeauftragten anderer Werkstätten, Gleichstellungsbeauftragten und Frauenberatungsstellen im Kreis. Wir als Frauenbeauftragte sind Ansprechpartnerin auf Augenhöhe und können im besten Fall zu Hilfeangeboten im Sozialraum weiterleiten.

Uns steht eine Stellvertreterin mit Werkstattvertrag zur Seite sowie eine Vertrauensperson. Letztere kann aus dem Fachpersonal der Werkstatt gewählt werden oder auch von außerhalb. Räume, Sachmittel und eine Bürokraft werden der Frauenbeauftragten von der Werkstatt zur Verfügung gestellt. Frauenbeauftragte, Stellvertreterin und Vertrauensperson haben ein Recht auf Fortbildung. Alle durch die Tätigkeit entstehenden Kosten trägt die Werkstatt. Sie werden aus Mitteln der Eingliederungshilfe refinanziert.

Gründung der Landesarbeitsgemeinschaft Frauenbeauftragte in WfbM Schleswig-Holstein (kurz: LAG FB in WfbM SH)

Die Werkstatt trägt auch die Kosten, die durch die Interessenvertretung auf Landesebene entstehen (WMVO § 39 a (5)). Im Dezember 2020 konnten wir Frauenbeauftragten deshalb unsere LAG gründen und fünf Frauenbeauftragte in den Vorstand wählen.

Zu unseren Aufgaben gehört die Beratung und Vernetzung der Mitglieder, Vernetzung mit anderen Landesverbänden (zum Beispiel Landesverband Frauennotrufe, LAG Gleichstellung, Mixed Pickles e.V., Frauennotruf, Der Paritätische SH, Diakonisches Werk SH), Mitwirkung im Landesbeirat zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen nach § 25 LBGG, sowie die Vernetzung mit dem Bundesnetzwerk der Frauenbeauftragten Starke.Frauen.Machen.

Im April 2022 haben wir mit allen Mitgliedern der LAG unseren Verein gegründet, der seit Juni 2022 als gemeinnütziger e.V. eingetragen ist.Durch die Rechtsfähigkeit können wir unabhängig arbeiten. Mit der LAG Werkstatträte SH e.V. (Interessenvertretung aller Beschäftigten in WfbM, SGB 9 § 222 und WMVO) führen wir eine gemeinsame Geschäftsstelle und arbeiten bei gemeinsamen Themen zusammen.

Situation der Frauenbeauftragten in der Praxis

Wir Frauenbeauftragten sind ein wesentlicher Baustein zur Gewaltprävention in der Werkstatt. Wir sind Ansprechperson auf Augenhöhe für unsere Kolleginnen. Anders als mit dem Fachpersonal sprechen unsere Kolleginnen leichter über persönliche

Themen mit uns. Aber unser Amt ist immer noch relativ neu und es muss noch viel Aufbauarbeit geleistet werden.

Das hören wir von unseren Mitgliedern:

  • Oft fehlt es noch an Anerkennung. Frauen sagen: Wir werden nicht ernst genommen. Wir sind ein Aushängeschild.
  • Das Thema sexualisierte Gewalt ist schwer – es geht hier nicht um das Mittagessen oder um Umbauten wie beim Werkstattrat. Wir brauchen Unterstützung, um mit diesem Thema gut umzugehen. Und wir haben das Gefühl, dass das Thema tabuisiert wird. Oft wird von der Werkstatt geblockt.
  • Die Konzepte zur Gewaltprävention werden meist ohne unsere Beteiligung entwickelt. Aber Prävention braucht Partizipation. Wir befürchten auch, dass die Konzepte „in der Schublade“ verschwinden.
  • Die Vernetzung mit Beratungsangeboten aus dem Sozialraum ist oft noch mangelhaft, aber notwendig. Frauenbeauftragte sind keine Beraterinnen oder Therapeutinnen.

Wir brauchen für unsere schwierigen Aufgaben dringend die Unterstützung durch unsere Vertrauenspersonen. Aber die haben zumeist zu wenig Zeit: Nur die Hälfte der Stunden, die den Vertrauenspersonen der Werkstatträte zustehen. Das ist in Anbetracht unserer Aufgaben nicht gerecht.

Vertrauenspersonen wissen oft zu wenig über sexuelle Selbstbestimmung, Gewaltprävention und Beratungsangebote. Es gibt keine geeigneten Schulungen. Freistellung für Schulungen sind auch oft schwierig.

Das brauchen wir – das muss sich ändern

Echte Gleichstellung und Anerkennung!

In der Präambel der Istanbul-Konvention heißt es: „Die Verwirklichung der rechtlichen und tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern ist ein wesentliches Element der Verhütung von Gewalt gegen Frauen.“ Ein Auftrag der Frauenbeauftragten gemäß WMVO lautet entsprechend auch, sich für die Gleichstellung von Frauen und Männern einzusetzen.

Der Werkstattrat ist z.B. in den meisten Werkstätten überwiegend mit Männern besetzt. Männer haben somit mehr Mitwirkung und Mitbestimmung an Prozessen in der Werkstatt.

Hier braucht es Impulse zur Veränderung der Idee von Geschlechterrollen. Sowohl bei dem Fachpersonal, das eine Vorbildwirkung hat, als auch bei den beschäftigten Menschen mit Behinderungen.

Gewaltprävention

Die Istanbul-Konvention legt klare Anforderungen zum Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt fest. Die Einführung der Frauenbeauftragten sehen wir als wichtige Maßnahme, besonders Frauen mit Behinderungen in Einrichtungen zu schützen, da sie zusätzlich neben anderen Formen sehr häufig von struktureller Gewalt betroffen sind. Wir beobachten leider, dass viele Frauen “gelernt” haben, Grenzüberschreitungen zu bagatellisieren und diese somit nicht verfolgt werden.

Das Fachpersonal braucht Unterstützung, um angemessen und sensibel mit Vorfällen umzugehen. Die gesetzliche Verankerung verbindlicher Gewaltschutzkonzepte im SGB 9 ist deshalb wichtig und gut, aber leider zu wenig konkret. Wir brauchen

  • Verbindliche Standards für Gewaltschutzkonzepte.
  • Die Beteiligung von Frauenbeauftragten (und Werkstatträten) und die kontinuierliche Fortschreibung der Konzepte muss fest verankert sein.

Vernetzung mit Hilfsangeboten im Sozialraum

Wir Frauenbeauftragte sind Ansprechpartnerin auf Augenhöhe und können im besten Fall zu Hilfsangeboten im Sozialraum weiterleiten. Aus der Praxis wissen wir jedoch, dass die Netzwerkarbeit mit Akteurinnen außerhalb der Werkstatt für die Frauenbeauftragten schwierig ist. Kontaktaufnahme, Verständigung und physische Zugänglichkeit sind oft voller Barrieren.

Hier brauchen wir Angebote, die Brücken schlagen, so wie es das Suse-Netzwerk tut (Suse: Sicher und Selbstbestimmt, ein Angebot vom Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe Frauen gegen Gewalt e.V. bff). In Schleswig-Holstein gibt es erfolgreiche regionale Suse-Netzwerke bereits in den Kreisen Segeberg und Ostholstein sowie in Lübeck, die von mixed pickles e.V. in Lübeck koordiniert werden.

Unterstützung durch Vertrauenspersonen und Bürokraft

Vertrauenspersonen und Bürokraft stehen uns als Unterstützung zu (WMVO § 39 (2) und (3)). Unsere Vertrauensperson brauchen wir an vielen Stellen: Fachliche Beratung, Übersetzung von Informationen in Leichte Sprache, Stärkung für Gespräche mit der Leitung, Begleitung zu Terminen, Vernetzung mit Akteurinnen außerhalb der Werkstatt und in Zeiten von Corona wichtig: Unterstützung bei der Teilnahme an Videokonferenzen.

Die zur Verfügung stehende Zeit von Vertrauensperson und Bürokraft ist nicht in der WMVO geregelt, sondern ergibt sich aus der Kalkulation zur Vergütung der Arbeit von uns Frauenbeauftragten, geeint im Landesrahmenvertrag. Sie ist abhängig von der Größe der Werkstatt und der Anzahl beschäftigter Menschen. Das bedeutet, dass kleine Werkstätten nur sehr wenig Geld für die Freistellung von Vertrauensperson und Bürokraft bekommen. Außerdem bekommen wir deutlich weniger Mittel für eine Freistellung als die Werkstatträte: Für die Vertrauensperson 55% weniger, für die Bürokraft sogar 85% weniger. Für eine Vertrauensperson aus dem Fachpersonal einer kleineren Werkstatt mit wenig Freistellung bedeutet dass, sie sich für uns von ihrer eigentlichen Tätigkeit im Arbeitsbereich der Werkstatt „zwischendurch“ freimachen muss. Und da es dort oft keine Vertretung gibt, ist das nicht immer so möglich, wie es für uns notwendig wäre. Die Folge ist, dass viele Frauenbeauftragte mit ihren Aufgaben alleine sind und diese nicht gut erledigen können, nicht aktiv in das Geschehen der Werkstatt einwirken oder sich mit Akteurinnen außerhalb der Werkstatt vernetzen können.

So besteht die Gefahr, dass die Frauenbeauftragte „unsichtbar“ bleibt und insgesamt der falsche Eindruck entsteht, dass kein Bedarf besteht. Allein um bei den Gewaltschutzkonzepten mitzuwirken, brauchen wir dringend fachliche Unterstützung. Vertrauenspersonen haben auch ein Recht auf Freistellung für Fortbildung. Passende Angebote fehlen jedoch.

Wir Frauenbeauftragte in Einrichtungen sind ein wesentlicher Baustein zum Schutz vor Gewalt an Frauen mit Behinderungen.

Für eine vollständige Wirksamkeit unserer Rolle brauchen wir verlässliche Rahmenbedingungen und eine gesicherte Finanzierung für eine umfängliche Unterstützung. Sonst bleibt das Amt der Frauenbeauftragten ein „Aushängeschild“ der Einrichtungen.

Ein Beitrag von Andrea Cornils, 1. Vorsitzende der LAG der Frauenbeauftragten in WfbM Schleswig-Holstein e.V.

Dieser Beitrag wurde zuerst, in einer längeren Fassung, im „Bericht zur Umsetzung der Istanbul-Konvention im Kreis Pinneberg“ veröffentlicht. Die LAG der Frauenbeauftragten in WfbM Schleswig-Holstein e.V. findet ihr hier.