Ein wichtiges Ziel ist die Stärkung unserer Demokratie.

Die Lotsinnen* haben schon über viele Projekte berichtet, in denen Frauen und gesellschaftliche Vielfalt eine wichtige Rolle spielen. Dieses Mal stellen wir das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ der Stadt Pinneberg vor, führen ein Interview mit den Mitorganisator*innen und zeigen auf, wie Kommunen „Demokratie leben!“ umsetzen können. Unsere Gesprächspartner*innen sind heute Deborah Azzab-Robinson, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Pinneberg und Mitglied des Begleitausschusses, Katharina Kegel, Integrationsbeauftragte der Stadt Pinneberg und Mitglied des Federführenden Amtes und Patrick Kirsch von der Koordinierungs- und Fachstelle Partnerschaft für Demokratie bei der DiakoMigra des Diakonischen Werkes Hamburg-West/Südholstein gGmbH

Frau Kegel, wie ist das Projekt „Demokratie leben!“ in Pinneberg entstanden?

Auf Anregung unserer Bürgermeisterin Urte Steinberg! Deshalb beschäftigte ich mich gemeinsam mit unserer Fördermittelmanagerin über die Inhalte des Bundesprogrammes „Demokratie leben!“, um die Voraussetzungen für eine Partnerschaft für Demokratie in Pinneberg zu schaffen. „Demokratie leben!“ ist ein Programm, das den gesellschaftlichen Zusammenhalt, zivilgesellschaftliches Engagement und ein demokratisches Miteinander in den Kommunen fördert. Überzeugt davon, dass die Stadt Pinneberg mit diesem Projekt nur gewinnen kann, formulierten wir einen Beschlussvorschlag für die Pinneberger Politik, um eine dementsprechende Förderung beantragen zu dürfen. Die Politik stimmte diesem in der Ratsversammlung vom 29.06.2022 einstimmig zu. Nachdem Anfang August dann der positive Zuwendungsbeschied für das Jahr 2022 durch das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben einging, gründeten wir in einer Sitzung am 29. September 2022 den Begleitausschuss. Die Gründung war der erste Schritt, dieses Projekt mit Leben zu füllen. In dem Begleitausschuss sind Akteure*innen aus der Zivilgesellschaft, der Politik sowie Beschäftigte der Stadtverwaltung vertreten.

Das Projekt „Demokratie leben!“ hat mehrere Gremien und richtet sich an viele Akteur*innen in der Zivilgesellschaft. Herr Kirsch, welche Rolle hat Ihre Stelle und wie verläuft ein Antragsverfahren?

Die Koordinierungs- und Fachstelle bringt die vielen Facetten einer Partnerschaft für Demokratie zusammen und setzt wichtige Impulse, um die Zivilgesellschaft an der Partnerschaft für Demokratie zu aktivieren und zu beteiligen. Konkret bedeutet das, dass ich mich vor allem lokal und regional mit vielen engagierten Menschen vernetze, Projektantragsteller*innen inhaltlich-fachlich berate und begleite, die ortsässigen Gremien der Partnerschaft für Demokratie unterstütze und das Engagement sowie die Aktivitäten öffentlich sichtbar mache. Dabei arbeite ich eng mit der Stadtverwaltung zusammen, dem Federführenden Amt.

Engagement und Demokratie hängen eng zusammen und deswegen ist es wichtig, dass wir Zugänge für Beteiligung schaffen. Mit dem Programm „Demokratie leben!“ unterstützen wir Projekte von engagierten Bürger*innen bzw. von gemeinnützigen Organisationen, die sich in Pinneberg einbringen. Das sind zum Beispiel die lokalen Vereine und Verbände: Jugendverbände, Sportvereine, Kulturvereine und viele mehr. In meiner

Rolle als Koordinierungs- und Fachstelle erfahren die Antragsteller*innen Unterstützung – von der Projektidee bis zur faktischen Antragsstellung .Mir ist es dabei wichtig, dass das Antragsverfahren möglichst einfach und unkompliziert ist. In der Regel reicht schon eine erste Idee. Die Interessierten können mit mir Kontakt aufnehmen und sich von mir beraten lassen. Ich erkläre wichtige Aspekte zur Förderung, gebe fachliche Impulse und unterstütze auch bei der Antragsstellung. Den fertigen Antrag schicke ich dann an eines der zwei Gremien – den Begleitausschuss oder das Jugendforum. Das ist davon abhängig, ob das Projekt aus dem Initiativ- und Aktionsfonds oder aus dem Jugendfonds gefördert werden soll. Das jeweilige Gremium entscheidet dann demokratisch über die Projektanträge.

Ein wichtiges Ziel ist die Stärkung der Demokratie. Frau Azzab-Robinson, welche Rolle spielen Mädchen und Frauen hierbei?

Im Artikel 3 Absatz 2 unseres Grundgesetztes ist der Verfassungsauftrag zur Umsetzung der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern auf allen Ebenen vorgeschrieben. Dieser Auftrag beinhaltet auch die Beseitigung bestehender Nachteile und hat Auswirkungen auf die kommunale Ebene. Gleichstellung ist also eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und kein Thema der politischen Parteipräferenz. Es gibt verschiedene Maßnahmen, die das möglich machen: Paritätisch besetzte Parlamente und Gremien, geschlechtergerechte Ansprache, Quoten bei gleicher Qualifikation in Ämtern und gern auch in der Privatwirtschaft. Unsere Partnerschaft für Demokratie gehört auf der kommunalen Ebene unbedingt dazu!

Stand August 2023 haben wir in der Stadt Pinneberg eine Bürgermeisterin und eine Bürgervorsteherin. Die weibliche Besetzung so wichtiger Ämter vor Ort ist nicht selbstverständlich und ein wichtiges Zeichen über die Grenzen der Stadt hinaus. 

In der Kommune ist es wichtig, auszuhandeln, wie wir gute Beteiligungsstrukturen schaffen können. Nur durch eine entsprechende Vertretung von Frauen in den Parlamenten, Gremien und im zivilgesellschaftlichen Engagement können Frauen ihre Sichtweisen und Bedürfnisse in die Diskurse erfolgreich einbringen.

Dazu müssen wir im wahrsten Sinne des Wortes herrschende Strukturen und Rollenverteilungen ändern: Wenn vor allem Frauen mit Care-Arbeit beschäftigt sind, sind die zeitlichen Ressourcen für ein mögliches gesellschaftliches Engagement ungleich verteilt. Das heißt nicht, dass Frauen sich nicht grundsätzlich beteiligen können, sondern das faktische Nachteile existieren.

Die Einbindung von Frauen ist ein wichtiger Aspekt von „Demokratie leben!“: Und bis jetzt ist uns das gut gelungen! Der Begleitausschuss, der ja über die Mittelfreigabe entscheidet, ist aktuell mit 7 Frauen und 5 Männern besetzt. Der Kinder- und Jugendbeirat ist mit neun Mitgliedern fast paritätisch! Einrichtungen wie die Frauenberatung Pinneberg können unter bestimmtem Voraussetzungen Vorhaben realisieren, die sonst nicht möglich wären. So hat der Begleitausschuss einem Projekt zugestimmt, mit dem unter anderem Frauen mit Behinderungen angesprochen und erreicht werden sollen. Das ist sehr wichtig, weil Frauen mit Behinderungen ein noch höheres Risiko haben, von sexueller Gewalt betroffen zu werden, als nicht behinderte Frauen. Dieses Beispiel zeigt: Wenn wir Frauen in der Zivilgesellschaft stärken wollen, dann müssen wir Wege finden, um sie besser zu aktivieren. Ob in Vereinen, in bürgerlichen Initiativen oder bei Beteiligungsprozessen der kommunalen Verwaltung. Es sind Fragen der Gleichstellung, die wir überall führen und wir gemeinsam gute Antworten auf diese Fragen finden müssen. All dies zeigt: Eine starke Demokratie braucht Frauen, denn Frauen sind 50 Prozent der Bevölkerung!

Katharina Kegel ergänzt:
Für eine lebendige Demokratie ist es wichtig, dass auch Menschen mit Migrationshintergrund bzw. internationaler Geschichte, die einen erheblichen Teil unserer Gesellschaft ausmachen, gehört und einbezogen werden. Die Repräsentanz von Menschen mit Migrationsgeschichte ist ein Indiz für Chancengerechtigkeit und eine funktionierende Demokratie. Besonders auf kommunaler Ebene ist dies von zentraler Bedeutung, denn hier wird das direkte Lebensumfeld der Menschen gestaltet. Die Bedürfnisse und Bedarfe von Menschen mit Migrationsgeschichte können am besten von den Menschen selbst eingebracht werden, sie sind die Expert*innen in eigener Sache. Kurz: Die Vielfältigkeit der Menschen sollte sich in einer repräsentativen Demokratie in den Parlamenten und Gremien widerspiegeln!

Warum kommt dem Kinder- und Jugendbeirat so eine wichtige Bedeutung zu?

Patrick Kirsch:
Kinder und Jugendliche sollten gleichberechtigte Mitglieder unserer Gesellschaft sein. Allerdings werden Minderjährigen altersbedingt politische Rechte verwehrt. Das fatale dabei ist, dass Entscheidungen von heute junge Menschen unmittelbar betreffen – heute und in der Zukunft. Das ist besonders problematisch, wenn jungen Menschen Mitbestimmungsrechte fehlen und gleichzeitig über ihre Zukunft mitentschieden und dafür eintreten wollen.

In meiner bisherigen Arbeit mit jungen Menschen weiß ich, dass sie politisch sind und unsere Gesellschaft mitgestalten wollen.

Der Kinder- und Jugendbeirat hat, wie schon gesagt, eine große Bedeutung im Bundesprogramm auf kommunaler Ebene. Deswegen gibt es einen separaten Jugendfonds, der über Projekte für junge Menschen direkt entscheidet und so Jugendliche supportet.

Der Pinneberger Kinder- und Jugendbeirat wird in der Stadt als Interessensvertretung junger Pinneberger*innen verstanden. Der Rat nimmt so die Interessen und Bedürfnisse der Pinneberger Kinder sowie Jugendliche wahr. Das Gremium berät sogar die Ratsversammlung – also das Machtzentrum der Stadt!- und ihre Ausschüsse. So können Kinder- und Jugendliche Wünsche und Anregungen äußern und sogar Anträge stellen! Gewählt werden die Mitglieder des Kinder- und Jugendbeirates von jungen Menschen selbst. Somit findet eine Form Selbstverwaltung einer Interessensvertretung statt, die durch Politik und Stadtverwaltung unterstützt wird. Mit dem Jugendfonds über das Programm „Demokratie leben!“ haben die Mitglieder des Kinder- und Jugendbeirats nun auch die Möglichkeit, Projekte von und für Kinder- und Jugendliche finanziell zu unterstützen. Damit kommen mehrere Aspekte zusammen. Junge Menschen wählen ihre Interessensvertretung in der Kommune selbst und mit dem Jugendfonds entscheiden die Interessensvertreter*innen über Projekte von und für junge Menschen, die eine Beteiligung junger Menschen ermöglicht. Das ist die richtige Richtung. 

Katharina Kegel:
Die junge Generation lebt Vielfalt teilweise schon viel selbstverständlicher. Das ist ein wichtiger Schritt zu einer diversitätsbewussten und gleichzeitig diskriminierungsfreien und chancengerechten Gesellschaft. 

Deborah Azzab-Robinson:
Mädchen hatten in der Geschichte Deutschlands noch nie so viele Möglichkeiten und Chancen wie heute. Wir wollen Mädchen ermutigen, diese zu ergreifen! Dies gilt besonders auch für Mädchen mit internationaler Geschichte. Das Erreichte ist nicht selbstverständlich und muss besonders vor dem Hintergrund eines wachsenden Rechtsextremismus unbedingt erhalten bleiben! Mit „Demokratie leben!“ machen wir hier einen guten Anfang. Die Mitglieder des Kinder- und Jugendbeirates wollen bei der Kampagne www.gleiche-macht-fuer-alle.de  des Landesfrauenrates Schleswig-Holstein mitmachen. Ihr Slogan: „Einstellungen und Ansichten werden im jungen Alter gefestigt. Umso wichtiger ist es, von Anfang an Gleichberechtigung kennenzulernen und zu leben“.

Liebe Frau Azzab-Robinson, liebe Frau Kegel, lieber Herr Kirsch, wir danken Ihnen für das Gespräch

Die Stadt Pinneberg hat sich als erste Kommune im Kreis Pinneberg erfolgreich über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ als neue „Partnerschaft für Demokratie“ beworben. Damit erhält die Stadt Gelder aus Bundesmitteln, um ein lokales Netzwerk zur Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements für Demokratie, Vielfalt und gegen Extremismus aufzubauen sowie lokale Projekte in diesen Themenfeldern finanziell zu unterstützen. Zudem unterstützt das Land Schleswig-Holstein die Partnerschaft für Demokratie mit Mitteln. Über konkrete Projekte von Vereinen, Verbänden und Initiativen entscheiden ein Begleitausschuss und der kommunale Kinder- und Jugendbeirat. Insgesamt stehen für Projekte Fördermittel in Höhe von fast 58.000 Euro zur Verfügung. Davon stehen ca. 14.000 Euro dem Kinder- und Jugendbeirat zu, der in dem Bundesprogramm eine besonders wichtige Rolle spielt. Eine Fachstelle koordiniert und begleitet Antragssteller*innen und betreut die Gremien.  
Weitere Infos findet ihr unter https://www.demokratie-leben.de/.

Ein Beitrag von Deborah Azzab-Robinson, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Pinneberg.