Dorathea Beckmann über ein aktuelles Geschichtsbuch, das in die Zukunft weist.

Zum Ende ihrer Amtszeit als Gleichstellungsbeauftragte in Rellingen hat Dorathea Beckmann ein 230 Seiten starkes Buch veröffentlicht. Zusammen mit der Projektgruppe „Frauen und Heimat“ hat sie 54 Frauen portraitiert und die Geschichte der Gleichstellungsarbeit in Rellingen nachgezeichnet. Ihre Nachfolgerin Nina Timmermann sprach mit Ihr über den Prozess.

Frau Beckmann, der Erstellung des 230-Seiten-Buches zum Ende Ihrer Amtszeit muss noch einmal sehr aufwändig gewesen sein. Was war die Motivation hinter dem Projekt?

Wir wollen Frauengeschichte schreiben und die Gleichstellungsgeschichte von Rellingen festhalten, die ja einen sehr speziellen Start hatte: Die Gleichstellungsbeauftragte wurde nur durch das Urteil des Bundesverfassungsgericht Mitte der 1990er Jahre bestellt. Wir, das sind die Projektgruppe „Frauen und Heimat“ und ich, waren uns gar nicht sicher, ob es nach meinem Weggang wieder eine Gleichstellungsbeauftragte geben wird. Wir wollten damit die Relevanz der Gleichstellungsarbeit betonen und die vielen verschiedenen Aufgabenfelder sichtbar machen. In dem Buch ist die Geschichte verbunden mit den Portraits und Biografien der Akteur*innen, die die Gleichstellungsarbeit mitgestaltet haben.

Die Portraits haben Sie dann anhand der Lebenslaufperspektive niedergeschrieben. Sie kennen Ihr Netzwerk ja sehr gut, haben Sie noch Überraschungen erlebt?

Ja, die Offenheit der Frauen hat mich noch einmal überrascht. Und wir waren beeindruckt von den vielen verschiedenen Lebensleistungen und den ganzen Ausbildungen, die die Frauen gemacht haben. Die meisten haben mehrere und teilweise ganz gegensätzliche gemacht! Dazu kommen spannende Hobbies, Abenteuerreisen auf ferne Kontinente oder sogar Treffen mit Mutter Teresa! Gemeinsam haben alle diese Frauen, dass Sie sich schon in jungen Jahren ein Frauenbewusstsein entwickelt haben – dafür waren oft ihre Mütter oder Großmütter entscheidend. Einige waren in der Friedensbewegung, andere in der ökologischen Bewegung schon ganz früh engagiert.  

Wir als Frauen und Mädchen wachsen ja alle in einer patriarchal geprägten Gesellschaft auf. Trotzdem fangen aber nicht alle Frauen an, sich dagegen zu engagieren. Wie kamen die Frauen zu Ihren – teilweise sehr vielfältigen Themen?

Bei Einigen ist ganz klar nachzuvollziehen, dass es diesen einen Auslöser in der Biografie gab. Zum Beispiel haben einige Frauen durch Ihre Fernreisen gesehen, wie Mädchen in anderen Ländern behandelt werden und haben dadurch noch einmal einen anderen Blick für Geschlechterungerechtigkeiten auch in Deutschland bekommen. Manche sind mit alleinerziehenden Müttern oder nur unter Frauen aufgewachsen und hatten daher von vornherein eine andere Sicht auf die Welt. Andere waren Teil der 68er-Bewegung und haben dann in den Frauengruppen zu der Zeit gemerkt, wie Frauen diskriminiert werden. Der Slogan war ja „Das Private ist politisch!“ Einige Frauen, die in der DDR groß geworden sind, sind dann auch durch die Wiedervereinigung auf das Thema gestoßen, da es ja im Westen ganz anders lief. Die Biografien skizzieren daher auch ein großes Stück Frauen- und Emanzipationsgeschichte Deutschlands.

Können Sie diese Frage nach dem Auslöser auch für sich beantworten?

Der Ursprung meines Engagements liegt bestimmt auch in meiner Herkunftsfamilie. Wir waren zwei Mädchen und ein Junge und der Junge wurde ganz anders behandelt: Er musste nicht im Haushalt helfen, er wurde bevorzugt und in den Schutz genommen. Damals hab ich die Ungerechtigkeit schon gespürt, konnte das aber noch nicht formulieren. Als katholische Theologin habe ich dann in einer Männerdomäne gearbeitet und sofort gemerkt, dass es da ein himmelschreiendes Unrecht gibt. Deswegen bin ich aus dem System Kirche ausgestiegen und habe mich dann seit 1990 intensiv mit Gleichberechtigung befasst.

Sie hatten es ja schon angedeutet: Das Thema Gleichstellungsarbeit hat von Anbeginn eine besondere Brisanz in Rellingen gehabt. Was war da in den 1990er Jahren los?

1992 hat das Land das wegweisende Gleichstellungsgesetz auf den Weg gebracht und die Kommunen verpflichtet, eine Gleichstellungsbeauftragte zu bestellen. Dagegen haben drei Kommunen geklagt, dabei war die Gemeinde Rellingen federführend. 1994 hat dann das Bundesverfassungsgericht die Klage zurückgewiesen, sodass 1995 eine Gleichstellungsbeauftragte eingesetzt wurde. Das heißt: Man wollte mich und das Thema zu Anfang nicht. Ich sollte die Strukturen unberührt lassen und mich nicht einmischen. Und mit dem Buch wollte ich auch noch einmal zeigen, dass es zu all den Themen in Rellingen Bedarfe gibt, auch wenn die Ungerechtigkeiten hier – in diesem reichen Umfeld – vielleicht nicht ganz so offensichtlich sind und das alles ein bisschen subtiler abläuft.

Woher haben Sie die Kraft genommen, gegen all die Widerstände anzugehen?

Die Frauen von Rellingen waren sehr wohlwollend und von Anfang an engagiert bei meinen Projekten dabei! Das positive Feedback hat mir auch immer sehr viel Kraft gegeben. Ferner bin ich durch meine Familie und auch in einem spirituellen Kontext gut abgesichert. Aber auch der kollegiale Austausch oder die Stärkung durch Supervision sind in einem so schwierigen Umfeld von großer Bedeutung, um gesund zu bleiben.

Zum Ende habe ich noch eine Frage: Die Frauen in dem Buch sind eher in der zweiten beziehungsweise dritten Hälfte des Lebens. Was kann die nachfolgende Generation, die jüngeren Frauen, von der Lektüre des Buches lernen?

Ich denke, sie würden ihre Mütter besser verstehen. Und die Themen aus dem Buch sind ja auch nach wie vor leider hochaktuell, wie zum Beispiel der Gender Pay Gap. Es ist auch immer wichtig, die Ursprünge und die Geschichte zu verstehen: Was steckt hinter all diesen Benachteiligungen? Wenn ich die Wurzeln nicht kenne, kann ich die Gegenwart nicht einschätzen und keine eigenen Ziele formulieren. Es ist quasi ein aktuelles Geschichtsbuch, welches ebenso in die Zukunft weist!

Liebe Frau Beckmann, vielen Dank für das Gespräch und Ihre Zeit!

Das Buch „25 Jahre Gleichstellung in Rellingen 1995-2020“ kannst du für 20 Euro an der Information des Rathauses Rellingen kaufen. Wenn du darüber hinaus noch wissen möchtest, was eine Gleichstellungsbeauftragte so macht, dann lies gern unseren Beitrag Was machen Gleichstellungsbeauftragte eigentlich so? Eine Berufsbeschreibung.

Ein Beitrag von Nina Timmermann, Gleichstellungsbeauftragte der Gemeinde Rellingen.