Body Politics: sich mit dem eigenen Körper anfreunden

Jede von uns kennt es. Das Gefühl, dass der eigene Körper nicht richtig ist. Nicht schön genug, nicht fit genug, nicht schlank genug, an einer Stelle zu groß oder zu klein. An einigen Tagen können wir recht selbstbewusst mit unseren Körpern umgehen, an anderen Tagen verunsichert dieser uns sehr. Über die Gründe für dieses Unwohlsein und ihren Weg zu einem positiveren Körpergefühl hat Melodie Michelberger ein Buch geschrieben, aus dem sie am 20.10.2021 in Pinneberg gelesen hat.  Darin verdeutlicht sie vor allem, das das kapitalistisch-patriarchale System unsere ‚Body Issues‘ befeuert, weil es davon profitiert.

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„Ich war besessen davon, meinen Körper zu verkleinern, zu schrumpfen, zu formen, zu verschlanken und zu straffen. Ich wollte Fett verbrennen, meiner Figur schmeicheln, meinen Bauch glätten, Problemzonen kaschieren, Rundungen bekämpfen, die Waage besiegen, Kleidergrößen reduzieren, und alles in dem Glauben, damit die beste Version meiner selbst zu sein“, schreibt die Autorin einführend über die Sicht auf ihren Körper. Jahrelang malträtierte sie ihn mit Diäten und Sport, um Fett loszuwerden. Denn nur ein schlanker Körper gilt als schön und gesund. Dicke Körper hingegen sind mit Abwertungen und Vorurteilen besetzt.

Doch woher kommt diese Fettphobie in westlichen Gesellschaften überhaupt? Die historischen Gründe liegen vor allem in dem Zeitalter des Kolonialismus und der Sklaverei, erklärt Michelberger mit dem Verweis auf Sabrina Strings und ihr Buch „Fearing the Black Body: The Racial Origins of Fat Phobia“ (2019). Um die Versklavung Schwarzer Menschen zu legitimieren, mussten diese abgewertet und entmenschlicht werden.  Ein Aspekt davon war, so Michelberger, Fettsein mit Attributen wie „wild“ und „gierig“ zu verbinden. Zudem führte die Ausbreitung des Protestantismus dazu, dass Völlerei als Sünde bewertet wurde. So kam der asketische und möglichst schlanke Körper in Mode.

An der beständigen Aufrechterhaltung der Fettphobie und der Etablierung anderer Schönheitsnormen ist aber vor allem der Kapitalismus schuld. Die unerreichbaren Schönheitsideale der Medienwelt nähren bewusst unsere Komplexe, damit wir bereitwillig sehr viel Geld in Produkte investieren, die unsere Makel beseitigen sollen. Michelberger liefert in ihrem Buch zahlreiche Beispiele für diese Indoktrination durch die „Diätkultur“ und die damit verbunden Produkte der Diätindustrie. Sie bringen nichts und sind zum Teil gesundheitsschädlich, wir denken aber trotzdem, dass wir sie brauchen. Wir dürfen an dieser Stelle aber auch nicht vergessen, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der Schönheit immer noch extrem mit Weiblichkeit verknüpft ist. Der Kauf dieser Produkte soll daher nicht nur unsere Schönheit, sondern auch unseren Wert als Frau steigern.

Als Sachbuch erklärt „Body Politics“ all die gesellschaftlichen Strukturen, die unseren Körperhass befeuern und öffnet somit so mancher Leserin an einigen Stellen sicher die Augen. Die Autorin appelliert aber auch an unsere eigene Verantwortung, die wir in System gegenüber unserem Körper und den Körpern anderer Menschen haben. In unseren Gedanken und Äußerungen schwingt sehr oft die Bewertung des Aussehens mit.  Auch wenn es  zum Beispiel nur nett gemeint ist, ist ein Lob für den Gewichtsverlust immer problematisch, weil es das Dünnsein als ein Ideal manifestiert. So geben wir die Werte der Diätkultur selbst ständig weiter. Auch sollten wir darauf achten, wie wir gegenüber unserer Kinder über unseren eigenen Körper sprechen. Wenn die eigene Mutter einem schon immer signalisiert, dass ihr Körper zu dick ist, wie soll man dann als Kind ein positives Verhältnis zu seinem Körper(-fett) aufbauen? Eben.

„Ich musste 40 Jahre alt werden, um festzustellen, dass ich mit meinem Körper in einer Zweckgemeinschaft lebte, in der ich so tat, als seien wir nicht in einem Team. Erst dann begann ich, das zu hinterfragen. Wollte ich wirklich die nächsten 40 Jahre im Kampf gegen meinen eigenen Körper verbringen?“

Der Autorin half unter anderem eine Therapie, ein anderes Verhältnis zu ihrem Körper aufzubauen. Sie las feministische Literatur und suchte sich als Vorbilder Schwarzen Fettaktivistinnen, deren Arbeiten ihr die Augen öffneten. Ihren Vorbildern hat sie ein ganzes Kapitel im Buch gewidmet und drei davon auch direkt interviewt. Mittlerweile ist sie dankbar für Ihren Körper und was er alles kann. Eiskunstlaufen macht sie nicht, um abzunehmen, sondern weil es ihr Freude bereitet. Auf Instagram zeigt sie sich selbstbewusst in Unterwäsche und bunter Mode, an der sie sichtlich Spaß hat.

Trotzdem hat Melodie Michelberger auch schlechte Tage, über die sie auf Instagram berichtet. Ein positives Körpergefühl zu entwickeln ist eben kein Prozess, den Frau irgendwann abgeschlossen hat, sondern eine tägliche Herausforderung voller Widersprüche. Vor allem ist er auch keine Challenge. „Muss ich meinen Körper jeden Tag megageil finden, um dabei sein zu können? Wollen wir nicht lieber daran arbeiten, dass die Körperform keinerlei Relevanz mehr hat?“ fragt sich Melodie in der Mitte des Buches. Abschaffen können wir die Relevanz von Körperformen sicher nicht, aber Autorinnen wie Melodie Michelberger können uns dabei helfen, sie anders zu bewerten.

Melodie Michelberger (*1976) ist Autorin und Instagrammerin. Als Redakteurin von Brigitte und Gala produzierte sie einst Schönheitsbilder, die sie jetzt kritisch hinterfragt. Mit ihrem Instagram-Account (@melodie_michelberger) und in Workshops wirbt sie für ein vielfältigeres Körperbild und empowert so unzählige Frauen und Mädchen. Ihr Buch „Body Politics“ ist im Januar 2021 bei Rowohlt Polaris erschienen und enthält Interviews mit Christelle Nkwendja-Ngnoubambjum (@nkweeny), SchwarzRund (@schwarzrund) und BodyMary (@bodymary).

Die Lesung war eine gemeinsame Veranstaltung der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt Pinneberg, des Frauennetzwerks Pinneberg e.V. und der Gleichstellungsbeauftragten aus Rellingen. Vielen Dank geht an die Buchhandlung Bücherwurm in Pinneberg, die den Büchertisch bereitstellte! Dieser Artikel wurde von Nina Timmermann, Gleichstellungsbeauftragte der Gemeinde Rellingen, verfasst.